Rz. 15

Im Rahmen der wirtschaftskriminalistischen Methodik werden letztendlich Anzeichen gesucht, die einen sicheren Rückschluss auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erlauben. Ein Anwendungsbereich für diese Methodik ergibt sich insbesondere dann, wenn die Geschäftsunterlagen des Unternehmens unvollständig oder fragwürdig bzw. erst gar nicht zu erhalten sind. In diesen Fällen besteht keine Basis für eine Feststellung im Sinne der betriebswirtschaftlichen Methodik. Eine Durchführung unter Berücksichtigung wirtschaftskriminalistischer Indizien stellt Beweisanzeichen zusammen, die den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens nahelegen.[1] Zumindest für strafrechtliche Zwecke lässt der BGH die Illiquiditätsprüfung mithilfe wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen ausdrücklich zu.[2] Beispielhafte Indizien bzw. Warnzeichen sind:[3]

  • Fruchtlose Pfändungen
  • Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO
  • Haftbefehle nach § 901 ZPO
  • Rückständige Sozialversicherungsbeiträge
  • Steuerrückstände
  • Kündigung von Kreditlinien bei Banken
  • Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern
  • (Protest von Wechseln und Schecks)
  • Überziehung von eingeräumten Kreditlinien bei Banken (extern und intern)
  • Kreditkündigungen von Banken
  • Nichtzahlen von laufender Pacht, Miete, Telefon etc.
  • Kreditschöpfungen durch Vorsteuerabzug, die sich auf Bestellungen und sonstige Leistungen beziehen, die aus dem sonst üblichen Rahmen fallen
  • die ausdrückliche Erklärung, nicht zahlen zu können
  • Zustellung von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden

Die vorstehende exemplarische Aufzählung möglicher Indizien ist aus qualitativer Perspektive allerdings weitergehend zu analysieren. Im Rahmen einer wertenden Gesamtschau ist die Erheblichkeit zu prüfen.[4]

Ausgangspunkt qualitativer Überlegungen ist zunächst die Tatsache, dass mithilfe der wirtschaftskriminalistischen Methodik regelmäßig lediglich der Endzeitraum eines Krisenstadiums konkretisiert werden kann. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass der Schuldner im Krisenanfangsstadium noch über weitreichende Verschleierungsmöglichkeiten verfügt, indem fällige Verbindlichkeiten schlicht nicht beglichen und Gläubiger "hingehalten" werden. Insbesondere vor dem Hintergrund erhoffter weiterer Geschäfte mit dem Schuldnerunternehmen unterbleibt zunächst oftmals die entschiedene Geltendmachung von Forderungen. Nicht selten kann selbst bei der Insolvenz von Großunternehmen beobachtet werden, dass kein Gläubiger eine Strafanzeige erstattet hat, obwohl deutliche Hinweise für einen Eingehungsbetrug (§ 263 StGB) vorlagen.

Allerdings werden auch "massiver" auftretende Gläubiger mit geeigneten Vermeidungsstrategien konfrontiert, die sich insbesondere in der unberechtigten Geltendmachung von Mängeln gelieferter Waren bzw. erbrachter Leistungen oder im Bestreiten der Fälligkeitsvoraussetzungen zeigen.

 

Rz. 16

Aus qualitativer Perspektive ist nun jedoch zu berücksichtigen, dass nicht alle Gläubiger von den vorstehend beschriebenen Umgehungsmöglichkeiten gleichermaßen betroffen sind. Dies gilt insbesondere für Behörden, die über ein Eigenvollstreckungsrecht verfügen. Dies betrifft insbesondere die Geltendmachung rückständiger Steuern und rückständiger Sozialversicherungsbeiträge. Durch die Eigenvollstreckungsmöglichkeiten ergibt sich eine erhebliche Verkürzung der ansonsten üblichen Zwangsvollstreckungszeiträume. Dies wiederum bedeutet, dass auch eine ggf. entstandene Krise deutlich früher offenkundig wird. Im Ergebnis können daher die Verbindlichkeiten durchaus danach unterschieden werden, in welchem zeitlichen Rahmen sie einer Vollstreckung unterliegen.[5] Mit anderen Worten: Ergibt die wirtschaftskriminalistische Indizienlage, dass insbesondere Rückstände bei Verbindlichkeiten bestehen, die besonders wenig widerstandsfähig gegenüber Vollstreckungsvermeidungsstrategien sind, so ist einer solchen Feststellung ein besonders hohes Gewicht beizumessen.

Der BGH stellt hierzu fest: "Der Schuldner hat die Zahlungen eingestellt, wenn er einen maßgeblichen Teil der fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt. Diese Feststellung kann nicht nur durch eine Gegenüberstellung der beglichenen und der offenen Verbindlichkeiten, sondern auch mit Hilfe von Indiztatsachen getroffen werden. (...) Entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts ist ein zusätzliches Indiz für eine Zahlungseinstellung aus der Nichtzahlung sowie der schleppenden Zahlung von Steuerforderungen durch den Schuldner herzuleiten."[6]

 

Rz. 17

Nochmals verdeutlicht am Beispiel rückständiger Sozialversicherungsbeiträge bedeutet dies: Die Einzugsstellen der gesetzlichen Sozialversicherung haben zunächst das Recht zur Eigenvollstreckung über Vollstreckungsbedienstete. Dies führt dazu, dass auch Insolvenzanträge (als Fremd- bzw. Drittantrag) schon beim Offenbleiben von Beiträgen für wenige Monate gestellt werden. Der pünktlichen Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge kommt daher aus Unternehmensperspektive eine große Bedeutung zu. Zusätzlich ist zu berücksichti...

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