Verschulden i. S. d. §§ 110 AO und 56 FGO ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung anzunehmen, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der von ihm versäumten Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Bürger geboten und ihm nach den Gesamtumständen des konkreten Einzelfalls zuzumuten ist.[1]

Dabei ist jede Form von Verschulden schädlich. Schon einfache Fahrlässigkeit führt zur Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.[2] Ob der Steuerpflichtige ohne Verschulden gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage.

Der BFH sieht eine Fristversäumung nur dann als entschuldigt an, wenn sie auch durch die äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte.[3] Wegen der Bedeutung der Wiedereinsetzung für den verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutz[4] dürfen die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht allerdings auch nicht überspannt werden.

Irrtümer über das Wesen einer Ausschlussfrist oder über materielles Recht begründen grundsätzlich keine Wiedereinsetzung.[5] Fristen sollen dem Beteiligten Gelegenheit geben, sich über die materielle Rechtslage zu informieren. Wer sich nicht informiert, obwohl dies möglich ist und zumutbar wäre, und deshalb eine Frist versäumt, ist nicht ohne Verschulden an einem rechtzeitigen Handeln gehindert.[6]

In Betracht kommen je nach Lage des Falls mehrere möglicherweise schädliche Unterarten von Verschulden:

2.1 Organisationsverschulden

Ein Organisationsverschulden liegt vor, wenn z. B. eine wirksame Fristenkontrolle fehlt.

Die Büroabläufe müssen so organisiert werden, dass Fristversäumnisse grundsätzlich ausgeschlossen sind; das setzt u. a. voraus, dass der Ausgang eines Schriftstücks, das eine gesetzliche Frist wahren soll, nicht dokumentiert wird, solange die zur Absendung erforderlichen Arbeitsschritte nicht vollständig getan sind, und eine Frist nicht vorher gelöscht wird.[1]

Jedoch ergibt sich ein Organisationsverschulden nicht schon daraus, dass organisatorische Maßnahmen denkbar sind oder angegeben werden können, durch die im konkreten Fall die Fristversäumung hätte verhindert werden können. Das ist so gut wie immer möglich, reicht jedoch nicht, ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten zu begründen.[2]

Ein Rechtsanwalt darf seinem Büropersonal zwar die bloße Berechnung und Notierung von Fristen und die Überwachung so notierter Fristen überlassen, nicht jedoch darüber hinaus die völlig selbstständige Prüfung, ob durch ein Schriftstück eine Frist in Lauf gesetzt wird. Er darf insbesondere nicht darauf verzichten, sich die auf Anordnung eines Gerichts förmlich zugestellte Post selbst vorlegen zu lassen und durchzusehen. Anderenfalls fällt ihm ein Organisationsverschulden zur Last.[3]

Ein Empfangsbekenntnis darf der Prozessbevollmächtigte nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.[4]

Bei isolierten Termindiktaten hat der BGH zur Vermeidung der Gefahr, dass die Fristverfügung als solche von den Mitarbeitern in der Kanzlei nicht erkannt wird, eine besondere Kennzeichnung des Tonträgers oder der Akten gefordert.[5] Jedoch braucht der Prozessbevollmächtigte andererseits nicht damit zu rechnen, dass eine im Zusammenhang mit der Rechtsmittelschrift auf demselben Tonträger diktierte Frist von seinem Personal nicht beachtet wird. Die schriftlich oder auf Tonträger verfügte Eintragung von Fristen kann er seinem hinreichend geschulten und überwachten Personal überlassen. Nachlässigkeiten seines Personals braucht er sich dann nicht als Verschulden zurechnen zu lassen.[6]

Werden Fristen in einer Kanzlei in den Fällen grundsätzlich nicht in das Fristenkontrollbuch eingetragen, in denen die Bescheide sofort bearbeitet werden, und wird nicht durch organisatorische Vorkehrungen eindeutig festgelegt, in welchen Fällen ausnahmsweise die Notierung einer Frist unterbleiben kann, sieht die Rechtsprechung darin bereits für sich genommen einen zu vertretenden Organisationsmangel.

Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist aufgrund einer Erkrankung rechtfertigt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Prozessbevollmächtigte für diesen Fall nicht sichergestellt hat, dass ein Vertreter für fristwahrende Handlungen hinzugezogen werden kann. Unterlässt er eine solche Vorsorgemaßnah...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge