Leitsatz

Wer sich auf eine dem nationalen Gesetz widersprechende Steuerbefreiung nach Gemeinschaftsrecht beruft, übt damit faktisch eine Option aus. Diese führt zu einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a UStG.

 

Sachverhalt

Die Klägerin war als Automatenaufstellerin gewerblich tätig. Im Streitjahr 1998 (und in den Jahren davor) hatte sie ihre Umsätze zunächst der Regelbesteuerung unterworfen. Im November 2003 beantragte sie die Korrektur des Umsatzsteuerbescheides 1998 (Vorbehaltsfestsetzung) und berief sich auf die Steuerfreiheit ihrer Geldspielumsätze nach Gemeinschaftsrecht. Das Finanzamt folgte diesem Antrag, korrigierte aber zugleich die Vorsteuern aus 1995 bis 1997 gem. § 15a UStG. Die Klägerin wendete ein, dass die Fehlbeurteilung der tatsächlichen oder der beabsichtigten Verwendungsumsätze für den Vorsteuerabzug im Abzugsjahr in einem Folgejahr nur dann nach § 15a UStG korrigiert werden dürfe, wenn mit Ablauf des Folgejahres die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr nicht mehr nach den Vorschriften der AO änderbar sei. Weil aber die Festsetzungen für die Jahre 1995 bis 1997 unstreitig erst im Jahr 1999 und damit nach Ablauf des Streitjahres (1998) bestandskräftig geworden seien, bliebe für die Anwendung des § 15a UStG insoweit kein Raum.

 

Entscheidung

Die Klage wurde als unbegründet zurückgewiesen. Nach der Rechtsprechung des BFH kann eine Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" auch dadurch eintreten, dass bei tatsächlich gleich bleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Dies setzt allerdings voraus, dass die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs in einem Folgejahr nach § 15a UStG wegen fehlerhafter Beurteilung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr setzt danach die Unabänderbarkeit der Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr nach den Vorschriften der AO voraus. Nach Ansicht des Finanzgerichts kann diese Problematik im Streitfall jedoch dahin stehen, weil das Finanzamt die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug in den Jahren 1995 bis 1997 nach der in den maßgeblichen Zeiträumen geltenden deutschen Rechtslage gar nicht fehlerhaft beurteilt hat. Eine Änderung der Verhältnisse habe sich im Streitjahr (lediglich) durch die "erstmalige" Ausübung des faktischen "Optionsrechts" der Klägerin durch Berufung auf die Steuerfreiheit nach Gemeinschaftsrecht (Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG Richtlinie) ergeben. In den jeweiligen Erstjahren, d. h. in den Veranlagungszeiträumen 1995 bis 1997, war die zugrunde liegende rechtliche Beurteilung des Vorsteuerabzugs für die Geldspielgeräte sowohl zutreffend (nach nationalem Recht) als auch unzutreffend (nach Gemeinschaftsrecht). Die maßgebende deutsche Vorschrift (§ 4 Nr. 9b UStG a.F.) stellte sich letztlich als fehlerhafte Umsetzung der rechtlichen Vorgaben dar. Ohne Antrag der Klägerin dahingehend, das Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen, waren die Umsatzsteuerbescheide 1995 bis 1997 gesetzmäßig. Die spätere Berufung der Klägerin auf die Richtlinienvorgaben führt daher zu einer Änderung der Verhältnisse und löst deshalb eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG aus.

 

Hinweis

Zumindest bis zum Inkrafttreten der Neufassung des § 4 Nr. 9b UStG (am 6.5.2006) können/konnten sich Betreiber von Geldspielautomaten auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung [1]., sprich auf die Steuerfreiheit nach Gemeinschaftsrecht berufen. Eine Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide hat der BFH jedoch abgelehnt. Die Anerkennung der Steuerbefreiung nach Gemeinschaftsrecht führt nach Ansicht der Finanzverwaltung zu einer Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG innerhalb des Berichtigungszeitraums. Das Finanzgericht stellt sich nun auf den Standpunkt, dass im Streitfall gar keine rechtlich fehlerhafte Beurteilung des Vorsteuerabzugs vorlag, weil er nach nationalem Recht möglich war und sich die Klägerin zunächst nicht auf das eine Steuerbefreiung vorsehende Gemeinschaftsrecht berufen hat. Faktisch hätte die Klägerin ein Wahlrecht gehabt, was nicht anders zu behandeln wäre, als die geänderte Ausübung eines Optionsrechts nach § 9 UStG. Diese Rechtsauffassung dürfte m. E. nur dann zutreffend sein, wenn ganz offenkundig Abweichungen zwischen nationalem Recht und dem Gemeinschaftsrecht bestehen. Waren solche Divergenzen in einzelnen Jahren noch nicht offenkundig (insbesondere mangels entsprechender Finanzgerichts-/BFH-Entscheidungen), könnte durchaus auch eine sog. "fehlerhafte Beurteilung" des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr vorliegen, weil ja zunächst gar kein Wahlrecht bestand. Dann wären Vorsteuerkorrekturen nach § 15a UStG u. U. auf solche Fälle beschränkt, in denen mit Ablauf des Folgejahres die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr nicht mehr nach den Vorschriften der AO änderbar war [2]. Wegen § 164 AO dürften das allerdings vergleichsweise wenige Fälle sein. Das letzte Wort hat nun der BFH (Az....

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