Sachverhalt

Bei dem französischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, ob eine nationale Präklusionsregelung mit der Richtlinie 2008/9/EG (Vorsteuervergütung gegenüber EU-Unternehmern) vereinbar ist, nach der eine Vergütung ausgeschlossen ist, wenn der Steuerpflichtige nicht binnen eines Monats auf ein per E-Mail übersandtes Auskunftsersuchen der Finanzbehörde reagiert. Nach Art. 20 Abs. 2 der RL 2008/9/EG, der im Vorlageverfahren streitig war, sind die von dem Erstattungsmitgliedstaat nach Art. 20 Abs. 1 RL 2008/9/EG angeforderten Informationen diesem innerhalb eines Monats ab Eingang des Informationsersuchens beim Adressaten vorzulegen.

Die Klägerin, eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland stellte im September 2015 in Frankreich einen Vergütungsantrag für das Jahr 2014, der in vollem Umfang zurückgewiesen wurde, weil die Klägerin auf ein - mit Schreiben der französischen Erstattungsbehörde vom Dezember 2015 an sie gerichtetes - Ersuchen um zusätzliche Informationen nicht geantwortet hatte.

Nach Art. 242-0 W von Anhang II des Allgemeinen Steuergesetzbuchs (FR), mit dem Art. 20 der Richtlinie 2008/9/EG kann die Finanzverwaltung innerhalb der in Art. 242-0 V Abs. 2 festgelegten Frist auf elektronischem Wege insbesondere beim Antragsteller oder bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats der Europäischen Union, in dem er ansässig ist, zusätzliche Informationen anfordern, wenn sie der Auffassung ist, dass sie nicht über alle für die Entscheidung über den gesamten vom Antragsteller eingereichten Erstattungsantrag oder über einen Teil dieses Antrags erforderlichen Informationen verfügt. Die angeforderten zusätzlichen Informationen sind innerhalb eines Monats ab Eingang des Informationsbegehrens beim Adressaten vorzulegen.

Der Conseil d'État hatte in einem Gutachten Oktober 2017 klargestellt, wie die Beweisführung zu erfolgen hat, wenn zwischen der französischen Verwaltung und dem Steuerpflichtigen Uneinigkeit hinsichtlich des Empfangs einer von ihr oder von ihm stammenden elektronischen Mitteilung besteht, wenn diese die Form einer einfachen E-Mail zwischen der vom Steuerpflichtigen in seinem Antrag genannten Adresse für die elektronische Kommunikation und der Kontaktadresse der Verwaltung hatte. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass ein E-Mail-Sendebericht des IT-Servers, auf dem sich die Kontaktadresse des Absenders befindet, mit der Angabe, dass die Übermittlung an den Server erfolgt ist, auf dem sich die Kontaktadresse des Empfängers befindet, den Nachweis ermöglicht, dass diese E-Mail tatsächlich gesendet wurde, und die Vermutung, dass sie beim Empfänger eingegangen ist. Es ist Sache des Empfängers, sich zu vergewissern, dass an ihn gerichtete E-Mails von dem Server, der sein elektronisches Postfach verwaltet, tatsächlich zugestellt werden. Im vorliegenden Fall wies die Verwaltung durch die Vorlage des vom IT-Server der Klägerin ausgestellten E-Mail-Weiterleitungsberichts nach, dass das Auskunftsersuchen vom Dezember 2015 bei der klagenden Gesellschaft tatsächlich an dem betreffenden Tag eingegangen war.

In der Richtlinie 2008/9/EG sind Fristen vorgesehen, die eine zügige Bearbeitung der Anträge auf Erstattung ermöglichen sollen. Somit hat der Antragsteller die für ihre Einhaltung notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Allerdings regelt weder die Richtlinie 2008/9/EG noch das nationale französische Recht, welche Auswirkungen eine Missachtung der Antwortfrist auf den Anspruch auf Vorsteuervergütung hat. Insbesondere geht aus keiner Rechtsvorschrift hervor, ob der Antragsteller die Möglichkeit hat, den Mangel seines Antrags vor dem zuständigen Richter zu beheben, oder ob sein Antrag präkludiert ist. Die Klägerin machte zum einen geltend, dass es gegen den Grundsatz der Neutralität der MwSt verstößt, wenn ihr nicht die Möglichkeit eingeräumt würde, den Mangel im Rahmen des in Art. 23 der Richtlinie 2008/9/EG vorgesehenen Einspruchs zu beheben. Auch machte sie geltend, dass das Fehlen einer solchen Möglichkeit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Die Verwaltung habe sich zwar zu vergewissern, dass der Steuerpflichtige seinen Melde- und Zahlungspflichten nachkomme und könne weitere Pflichten festlegen, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, doch dürften sie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinausgehen.

Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob die Bestimmungen von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9/EG dahin auszulegen sind, dass mit ihnen eine Präklusionsregel geschaffen wird, die bedeutet, dass ein Antragsteller auf Vorsteuervergütung Mängel seines Erstattungsantrags nicht vor dem zuständigen Richter beheben kann, wenn er die Frist für die Beantwortung eines Auskunftsersuchens der Finanzverwaltung nach den Bestimmungen von Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG missachtet hat. Das Gericht fragte auch, ob der Antragsteller im Rahmen des in Art. 23 der Richtlinie vorgesehenen Einspruchsrechts und i...

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