Die Frage der Abgrenzung von Vorräten und Forderungen stellt sich in unterschiedlichen Phasen des betrieblichen Leistungserstellungsprozesses, nämlich im Fall

  1. der Leistung von Anzahlungen oder Vorauszahlungen auf bestellte Vorräte,
  2. der Erbringung unfertiger Leistungen unter Einsatz von Vorräten und
  3. bei (abgeschlossenen) Umsatzgeschäften über Vorratsgüter.

Ausgehend von der Gliederungsvorschrift des § 266 Abs. 2 HGB lassen sich die beiden erstgenannten Abgrenzungsfragen eindeutig beantworten. Danach sind im Rahmen eines schwebenden Beschaffungsgeschäfts geleistete Anzahlungen unbeschadet ihres Forderungscharakters als Teil der Vorräte auszuweisen. Gleiches gilt für in der Entstehung begriffene Forderungen aus unfertigen Leistungen. Paradebeispiel hierfür sind noch nicht abgewickelte Bauaufträge auf fremdem Grund und Boden.[1] Auch noch nicht vollständig erbrachte Dienstleistungen (z. B. Forschungs-, Werbe- oder Reparaturleistungen) rechnen zu den im Vorratsvermögen auszuweisenden unfertigen Leistungen, soweit einerseits ein Vergütungsanspruch für die angefallenen Aufwendungen besteht, andererseits noch keine Gewinnrealisation eingetreten ist.[2]

Hat der Bilanzierende seine aus einem gegenseitigen Vertrag resultierende Leistungspflicht erfüllt, gilt der Erfolg aus diesem Geschäft nach dem Realisationsprinzip als verwirklicht. Die zur Erbringung der Leistung eingesetzten Vorratsgüter dürfen in diesem Fall nicht mehr in der Bilanz erscheinen. An ihre Stelle tritt der Anspruch auf die Gegenleistung, der unter der Position B.II. des gesetzlichen Gliederungsschemas (Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände) auszuweisen ist. Der Übergang von der Vorrats- zur Forderungsbilanzierung bestimmt sich nicht nach dem Zeitpunkt der zivilrechtlichen Vertragserfüllung gem. § 362 BGB. Entscheidend ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Vorräten auf den Vertragspartner. Der in der Praxis wichtigste Fall besteht in der Lieferung von Gütern. Dort bestimmt – vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelungen – die Übergabe der Kaufsache den Realisationszeitpunkt (§ 446 BGB).[3] Bei Leistungen kommt es auf die Abnahme durch den Besteller nach § 640 BGB oder – soweit diese aufgrund der Beschaffenheit des Werkes ausgeschlossen ist – auf die Fertigstellung der Leistung an.[4]

[1] Vgl. u. a. Wulf/Sackbrook, in Bertram/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, 11. Aufl. 2020, § 266 Rz. 69-71, 74 f.
[2] Vgl. Schubert/Huber, in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl. 2020, § 247 HGB, Rn. 66.
[3] Vgl. m. w. N. Kreipl/Müller, in Bertram/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, 11. Aufl. 2020, § 252 Rz. 98.
[4] Vgl. zum Zeitpunkt der Gewinnrealisation Moxter, Bilanzrechtsprechung, 6. Aufl. 2007, S. 48 ff.; Woerner, BB 1988, S. 769 ff.

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