1.1 Relevante Wertmaßstäbe

Vorräte sind als Bestandteil des Umlaufvermögens in der Handelsbilanz nach dem strengen Niederstwertprinzip mit dem Minimum aus Zugangswert (Anschaffungs- oder Herstellungskosten) bzw. Buchwert und Stichtagswert anzusetzen. Als relevante Ausprägungen des Stichtagswerts von Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens nennt § 253 Abs. 4 Satz 1, 2 HGB.

  • den niedrigeren Wert, der sich aus einem Börsenpreis am Abschlussstichtag ergibt,
  • den niedrigeren Wert, der sich aus einem Marktpreis am Abschlussstichtag ergibt, und
  • den (niedrigeren) Wert, der den Vermögensgegenständen am Abschlussstichtag beizulegen ist.

Diese gesetzlichen Wertmaßstäbe sind für Zwecke der Niederstbewertung in der aufgeführten Reihenfolge heranzuziehen. Börsen- oder Marktpreise stellen lediglich spezielle Ausprägungen des beizulegenden Werts dar.

Unter einem Börsenpreis ist der an einer amtlich anerkannten Börse im In- oder Ausland aufgrund von Umsätzen amtlich oder im Freiverkehr festgestellte Kurs zu verstehen. Marktpreise liegen vor, wenn Güter einer bestimmten Gattung und von durchschnittlicher Art und Güte an anderen Handelsplätzen regelmäßig umgesetzt werden. Zufallspreise, die aufgrund von Sondereinflüssen zustande gekommen sind und die wirkliche Wertschätzung der Marktteilnehmer nicht widerspiegeln, sind durch stichtagsnahe Durchschnittskurse zu ersetzen.[1]

Börsen- und Marktpreise bilden lediglich den Ausgangspunkt der Bewertung. Um den relevanten Stichtagswert eines Vorratsguts zu ermitteln, sind diese Preise um übliche Nachlässe zu vermindern und – je nach relevanter Marktseite – um Anschaffungsnebenkosten zu erhöhen oder um beim Verkauf anfallende, vom Unternehmen zu tragende Transaktionskosten zu reduzieren.

Lässt sich weder ein Börsen- noch ein Marktpreis feststellen, ist der beizulegende Wert eines Vorratsguts anderweitig zu ermitteln, z. B. aus stichtagsnahen Ein- oder Verkäufen.

[1] Vgl. Bertram/Kessler, in Bertram/Kessler/Müller (Hrsg.), Haufe HGB Bilanz Kommentar, 11. Aufl. 2020, § 253, Rz. 275; teilweise a. A. IDW (Hrsg.), WP Handbuch, Bd. I, 17. Aufl. 2020, Abschn. E, Tz. 432.

1.2 Absatz- versus Beschaffungsmarkt

Die Höhe des Vergleichswerts hängt u. a. davon ab, ob er aus einer beschaffungs- oder absatzorientierten Sicht bestimmt wird. Hierzu haben sich Konventionen herausgebildet, die in Abhängigkeit von der Art der zu bewertenden Vorratsgüter unterschiedliche Verfahrensweisen vorsehen. Sie sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1: Relevante Marktseite für die Niederstbewertung des Vorratsvermögens

 
Achtung

Zunehmend kritische Betrachtung der beschaffungsorientierten Bewertung

Die in den vorstehenden Grundsätzen zum Ausdruck kommende Dominanz der beschaffungsorientierten Bewertung wird (zu Recht) zunehmend kritisch betrachtet. Mit ihr sind mitunter auch entgehende Gewinne erfolgsmindernd zu berücksichtigen. Diese Vorgehensweise ist durch das Imparitätsprinzip nicht gedeckt. Zur Darstellung der Schuldenbegleichungsfähigkeit des Kaufmanns ist eine absatzorientierte Bewertung ausreichend. Das gilt jedenfalls, soweit sie – wie im Fall unfertiger oder fertiger Erzeugnisse bzw. Waren – praktikabel ist.[1]

 
Praxis-Tipp

Höhe der Niederstwertabschreibung beeinflussbar

Der Bilanzierungspraxis eröffnet die anhaltende Diskussion über die relevante Marktseite die Möglichkeit, unter Berufung auf die eine oder andere Meinung die Höhe etwaiger Niederstwertabschreibungen auf das Vorratsvermögen gezielt zu beeinflussen.

[1] Vgl. Bertram/Kessler, in Bertram/Kessler/Müller (Hrsg.), Haufe HGB Bilanz Kommentar, 11. Aufl. 2020, § 253, Rz. 282. Vgl. auch Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 11. Aufl. 2020, § 253, Rz. 231, und IDW (Hrsg.), WP Handbuch Bd. 1, 17. Aufl. 2020, Abschn. E, Tz. 435.

1.3 Verlustermittlung

Der Betrag einer Niederstwertabschreibung ergibt sich als Differenz zwischen dem vom Beschaffungs- oder Absatzmarkt abgeleiteten beizulegenden Wert (Wiederbeschaffungskosten, Wiederherstellungskosten oder Verkaufswert) und dem höheren Buchwert eines Vorratsguts (vgl. Tab. 2).

Die Wiederbeschaffungskosten sind analog zu den Anschaffungskosten nach den jeweils geltenden Verhältnissen auf den Beschaffungsmärkten des Unternehmens zu bestimmen. Die Wiederherstellungskosten ermitteln sich analog zu den Herstellungskosten unter identischer Abgrenzung auf Basis der aktuellen Kosten- und Mengenrelationen am Abschlussstichtag. Die Ausübung von Bewertungswahlrechten bei der Bestimmung der Herstellungskosten im Zugangszeitpunkt spiegelt sich in den Wiederherstellungskosten wider.[1] Einer eingeschränkten Verwendbarkeit der zu bewertenden Vorratsgüter ist durch angemessene Gängigkeitsabschläge Rechnung zu tragen. Dies geschieht in der Praxis vielfach außerhalb der dargestellten Bewertungsschemata in pauschaler Form.

 
Beschaffungsorientierte Bewertung Absatzorientierte Bewertung
Bewertungsmaßstab Wiederbeschaffungskosten Bewertungsmaßstab Wiederherstellungskosten Bewertungsmaßstab Verkaufswert
Wiederbeschaffungspreis Wiederherstellungseinzelkosten voraussichtlicher Einzelveräußerungspreis (ohne USt)
+ Wiederbeschaffungsne...

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