Leitsatz

1. Prozessuale und außerprozessuale Rechtsbehelfe sind gem. § 133 BGB auszulegen, wenn eine eindeutige und zweifelsfreie Erklärung fehlt. Liegt eine solche Erklärung nicht vor, kommt es maßgeblich darauf an, welcher Sinn der von der klagenden Partei in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist.

2. Die verfahrensrechtliche Umsetzung unionsrechtlicher Anforderungen an das nationale Steuerrecht obliegt den Mitgliedstaaten. Das Verfahrensrecht ist aus diesem Grund grundsätzlich einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich.

3. Die unionsrechtlichen Voraussetzungen einer Ansässigkeit im Inland sind nicht erfüllt, wenn der Unternehmer im Inland lediglich eine "Zweigniederlassung" oder "Betriebsstätte" innegehabt hat, von der aus keine Umsätze bewirkt worden sind.

4. Da der deutsche Verordnungsgeber mit der in § 59 UStDV getroffenen Regelung das Unionsrecht nicht zutreffend umgesetzt hat und § 59 UStDV richtlinienkonform unter Einbeziehung der unionsrechtlichen Ansässigkeitserfordernisse auszulegen ist, müssen von der "Zweigniederlassung" oder der "Betriebsstätte" i.S.v. § 59 UStDV aus "Umsätze" bewirkt worden sein.

 

Normenkette

§ 133 BGB, § 1 Abs. 3, § 13b, § 15 Abs. 1, § 16, § 18 Abs. 1 bis 4 und Abs. 9 UStG, § 59, § 60, § 61 UStDV, Art. 170, 171 Richtlinie 2006/112/EG, Art. 1 Richtlinie 79/1072/EWG, Art. 3, Art. 28 Richtlinie 2008/9/EG

 

Sachverhalt

Ein dänisches Unternehmen unterhielt im Inland eine in das Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung. Die Zweigniederlassung gab für sich als Unternehmer ab 2008 USt-Erklärungen ab. In ihren USt-Erklärungen für 2008 und 2009 sowie in den USt-Voranmeldungen für das erste und zweite Quartal 2010 erklärte sie keine steuerpflichtigen Umsätze, machte aber Vorsteuerbeträge geltend. Das FA verneinte die Unternehmereigenschaft der Zweigniederlassung und setzte mit an die Zweigniederlassung gerichteten Änderungsbescheiden die USt für die Jahre 2008 und 2009 sowie für das erste und zweite Quartal 2010 auf jeweils 0 EUR fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Zur Begründung führte das FG (FG Hamburg, Urteil vom 26.1.2012, 2 K 49/11, Haufe-Index 2964862) aus, Klägerin sei die Zweigniederlassung. Diese sei aber keine Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG und könne daher auch keinen Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück, da das Urteil des FG aus anderen als den in den Entscheidungsgründen dargelegten Gründen zutreffend ist. Klägerin ist entgegen dem Urteil des FG zwar das Unternehmen als solches und nicht die Zweigniederlassung. Die Klägerin kann den Vorsteuerabzug aber nicht im Besteuerungsverfahren nach § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG beanspruchen. Sie muss die Vorsteuerabzugsbeträge vielmehr im besonderen Vergütungsverfahren nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59ff. UStDV geltend machen, da sie zwar im Inland eine Betriebsstätte unterhält, von dieser aber keine Umsätze ausgeführt hat.

 

Hinweis

1.Rechtsbehelfe sind in entsprechender Anwendung von § 133 BGB auszulegen, wenn eine eindeutige und zweifelsfreie Erklärung fehlt. Maßgeblich ist, welcher Sinn der von der klagenden Partei in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. Wird z.B. eine Zweigniederlassung nicht als Unternehmer angesehen, ist der Klageanspruch dahingehend auszulegen, dass er von demjenigen erhoben wird, der die Grundvoraussetzung des geltend gemachten Anspruchs und damit die Unternehmereigenschaft erfüllt.

2. Ist der Unternehmer im Ausland ansässig, können Vorsteuerbeträge unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59ff. UStDV nur im sog. Vergütungsverfahren vergütet werden. Ein Kriterium, das zur Begründung der Ansässigkeit im Inland führt, ist das Bestehen einer inländischen Betriebsstätte. Nicht eindeutig ist dabei allerdings, welche Anforderungen an die ansässigkeitsbegründende Betriebsstätte zu stellen sind.

a) Nach dem Wortlaut von § 59 Satz 2 UStDV begründet bereits das bloße Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte die Ansässigkeit im Inland. Nach dem Wortlaut der Regelung ist es nicht erforderlich, dass der Unternehmer von dieser Betriebsstätte aus Ausgangsleistungen erbringt. Danach könnte z.B. auch eine bloße Repräsentanz, die lediglich der allgemeinen Kundenpflege dient, ansässigkeitsbegründend sein.
b) Anders ist es im Unionsrecht. Nach Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 als unionsrechtlicher Grundlage des Vergütungsverfahrens ist eine feste Niederlassung (Betriebsstätte) nur dann ansässigkeitsbegründend, wenn der Unternehmer von dieser festen Niederlassung aus Umsätze und damit Ausgangsleistungen bewirkt.
c) Der BFH legt den Begriff der Betriebsstätte i.S.v. § 59 Satz 2 UStDV entsprechend Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 aus. Folge dieser Betrachtungsweise ist, dass eine Betriebsstätte i.S.v. § 59 Satz 2 UStDV nur dann vorliegt, wenn der Unternehmer von ihr aus auch Ausgangsle...

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