Leitsatz

Die für eine Vorlage an das BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG erforderliche Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Aus­setzungszinsen (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) liegt für den Verzinsungszeitraum 11.11.2004 bis 21.3.2011 nicht vor.

 

Normenkette

§ 233a, § 234 Abs. 2, § 237, § 238 AO, Art. 14, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 247, § 288 BGB, § 155, § 251a AO, § 5 Abs. 1 StSäumG

 

Sachverhalt

Streitig war, ob die Kläger den Gewinn aus der Veräußerung einer zuvor vermieteten Immobilie in vollem Umfang versteuern mussten. Das Einspruchsverfahren ruhte von 2004 bis zur Entscheidung des BVerfG über die Verfassungswidrigkeit der rück­wirkenden Verlängerung der Spekulationsfrist im Juli 2010. Das FA hatte in vollem Umfang AdV gewährt. Nach der Entscheidung des BVerfG setzte das FA den steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn niedriger an und berechnete für die darauf zu entrichtende Steuer (15.850 EUR) Zinsen von 6.023 EUR. Die Kläger hielten dies für verfassungswidrig. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Hamburg, Urteil vom 23.5.2013, 2 K 50/12, Haufe-Index 5337172, EFG 2013, 1734).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision der Kläger zurückgewiesen und eine Vorlage des § 238 AO an das BVerfG abgelehnt.

 

Hinweis

Der IX. Senat des BFH hat die gesetzliche Verzinsung noch einmal passieren lassen, jedoch nur für den im Leitsatz auf den Tag genau angegebenen Zeitraum. Dies lässt auf den ersten Blick viel Raum für Spekulationen. Bei Lichte betrachtet besteht dazu allerdings weniger Anlass. In der Diskussion können grob drei Aspekte unterschieden werden:

1. Einer Verzinsung nach Maßgabe des im Einzelfall tatsächlich erzielten Vorteils hat der BFH in Übereinstimmung mit dem BVerfG eine klare Absage erteilt. Die Kläger hatten argumentiert, sie hätten den zu verzinsenden Geldbetrag tatsächlich gar nicht nutzen können. Das mag zutreffen. Eine Ermittlung des individuellen Vorteils im Einzelfall würde jedoch die Finanzverwaltung überfordern. Der BFH hält es deshalb wohl für ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber von Verfassung wegen verpflichtet sein könnte, eine solche Regelung einzuführen.

2. Was die absolute Höhe der Zinsen von 0,5 % pro Monat betrifft, war der BFH nicht davon überzeugt, dass der Gesetzgeber bis zum März 2011 schon zu einer Absenkung verpflichtet war.

a) Voraussetzung für eine Vorlage an das BVerfG ist die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Norm. Zweifel an der Verfassungsgemäßheit reichen nicht aus. Der BFH hat Zweifel zwar nicht explizit eingeräumt, seine Überzeugung jedoch klar verneint.
b) Für den Zeitraum 2003 bis 2006 hatte das BVerfG die gesetzliche Verzinsung in der AO als zulässige Typisierung explizit nicht beanstandet (BVerfG, Beschluss vom 3.9.2009, 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115). Im Streitfall ging es auch um die Jahre 2004 bis 2006.
c) Aber auch für die Jahre 2007 bis März 2011 hält der BFH die Typisierung noch nicht für eindeutig realitätsfremd. Dabei sei die Höhe der gesetzlichen Zinsen nicht nur mit den (kurzfristig) erzielbaren Anlagezinsen, sondern auch mit der Höhe der Zinsen zu vergleichen, die für die Inanspruchnahme von (unbesicherten) Krediten zu entrichten waren. Auch dieser Gedanke war bereits in der Argumentation des BVerfG angelegt. Es hatte die Möglichkeit kreditfinanzierter Steuerzahlung zumindest ausdrücklich in Erwägung gezogen.

3. Nicht gefolgt ist der BFH dem BVerfG in der Einschätzung, dass eine variable Verzinsung (wie in § 247 BGB) heute noch an den technischen Hürden scheitern würde. Daraus ergibt sich aber weder, dass die Einführung einer variablen Verzinsung vom GG gefordert wird noch welche Höhe der variable Zins hätte. Dieser für sich genommen interessante Aspekt konnte der Klage also auch nicht zum Erfolg verhelfen.

4 Ob bei überlanger Verfahrensdauer im Einzelfall etwas anderes gelten könnte, war nicht zu entscheiden. Der BFH hat eine überlange Verfahrensdauer mit Blick auf die besondere Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Streitfall verneint.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 1.7.2014 – IX R 31/13

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