Leitsatz

1. Der Gesetzgeber verstößt regelmäßig nicht gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Rückwirkung belastender Gesetze, wenn er steuerrechtliche Beihilfen für Investitionen (hier Investitionszulagen) rückwirkend für bereits getätigte Investitionen absenkt, weil eine Entscheidung der Europäischen Kommission die Unvereinbarkeit der Beihilfenhöhe mit dem gemeinsamen Markt festgestellt und die Bundesrepublik aufgefordert hat, die Beihilfen in dem als unvereinbar festgestellten Umfang aufzuheben und schon gewährte Begünstigungen zurückzufordern.

2. Ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf die Gewährung der Beihilfen in der zunächst gesetzlich geregelten Höhe kann schon vor der Entscheidung der Kommission nicht mehr entstehen, sobald der BMF die Einleitung eines Hauptprüfungsverfahrens durch die Kommission wegen der Beihilfen mitgeteilt und deshalb angeordnet hat, die Beihilfen abweichend vom Gesetz nur noch in geringerer Höhe zu gewähren.

3. Offen bleibt, ob der Gesetzgeber bei der rückwirkenden Gesetzesänderung für vor der Mitteilung des BMF getätigte Investitionen eine Übergangsregelung treffen muss, die besonderen Einzelfällen gerecht wird, in denen ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf die Höhe der Beihilfen entstanden ist. Ein solches durch eine Übergangsregelung zu erfassendes verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen kann jedenfalls nicht in Fällen entstanden sein, in denen die rückwirkende Absenkung der Beihilfe nur verhältnismäßig geringe finanzielle Auswirkungen hat und deshalb nicht ersichtlich ist, dass die betreffenden Investitionen durch die erwartete höhere Beihilfe veranlasst worden sein könnten.

 

Normenkette

§§ 3 Satz 1 Nr. 1, 5 Nr. 1 Abs. 1, 11 Abs. 2 InvZulG 1991 , Art. 13 VerbrBinmG , Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 92, 93, 173 EWGV

 

Sachverhalt

Das InvZulG 1991 sah für in Berlin-West getätigte Investitionen, die nach dem 30.6.1991 begonnen und bis zum 30.6.1992 abgeschlossen waren, eine Investitionszulage von 12 % vor. Rückwirkend wurde dieser Satz auf 8 % abgesenkt, weil die Europäische Kommission die Unvereinbarkeit der Investitionszulage mit dem Gemeinsamen Markt feststellte, soweit der Zulagensatz mehr als 8 % betrug. Die Kommission verpflichtete die Bundesrepublik, die als unvereinbar festgestellte Beihilfe aufzuheben und schon gewährte Beihilfen zurückzufordern. Der Kläger beantragte für während des Jahres 1992 getätigte Investitionen in Berlin-West in Höhe von etwa 134000 DM eine Investitionszulage mit einem Zulagensatz von 12 %. Das FA gewährte unter Hinweis auf die geänderte Gesetzeslage lediglich eine Investitionszulage von 8 %. Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, er habe Anspruch auf die Zulage nach ursprünglichem Recht, denn die Entscheidung der Kommission sei europarechtswidrig, die Rückwirkung zudem verfassungswidrig. Hilfsweise sei der Fall dem EuGH vorzulegen. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

 

Entscheidung

Die Entscheidung Der BFH hielt die rückwirkende Herabsetzung des Zulagensatzes in Berlin für grundsätzlich verfassungsgemäß. Selbst wenn darin eine echte Rückwirkung zu sehen sei, habe der Gesetzgeber zur Vermeidung einer Klage vor dem EuGH und wegen des öffentlichen Interesses an der Wiederherstellung des gemeinschaftsrechtmäßigen Zustands und der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung das Gesetz ändern dürfen. Die Entscheidung der Kommission könne von deutschen Gerichten nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Auch eine Vorlage an den EuGH komme nicht in Betracht, denn die Entscheidung sei bestandskräftig. Das gelte unabhängig davon, ob der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, gegen die Entscheidung der Kommission gerichtlich vorzugehen. Es könne offen bleiben, ob der Gesetzgeber eine Übergangsregelung hätte treffen müssen für Investitionen, die zwischen dem 1.1. und 17.2.1992 getätigt worden seien. Ein Vertrauensschutz für Investitionen nach diesem Zeitpunkt komme nicht in Betracht. Der Kläger habe nur eine Investition in Höhe von 17 467 DM vor dem 17.2.1992 vorgenommen, so dass die Auswirkung der nachträglichen Gesetzesänderung lediglich 699 DM betrage. Durch die Erwartung dieses zusätzlichen Betrags zu der Investition könne kein so schutzwürdiges Vertrauen entstanden sein, dass demgegenüber das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung des gemeinschaftsrechtmäßigen Zustands und der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung zurücktreten müsste.

 

Hinweis

Entscheidungen des EuGH oder – wie hier – der Europäischen Kommission werden auch für nicht harmonisierte Steuern immer bedeutsamer. Stellt sich nämlich heraus, dass eine steuerliche Regelung eine gemeinschaftsrechtswidrige Beihilfe darstellt, wird die BRD von der Kommission – oder falls sie gegen die Entscheidung geklagt hat – vom EuGH verpflichtet, die Beihilfe nicht mehr zu gewähren und bereits gewährte Beihilfen zurückzufordern. Das Urteil beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Entscheidung der Kommission und deren Umsetzung durch den n...

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