Der VW-Diesel-Skandal war der Auslöser für die Einführung dieses neuen Verfahrens, das Parallelen mit der amerikanischen Sammelklage aufweist, aber dem deutschen Recht bisher unbekannt war. Diese Klageart wurde vom Gesetzgeber durch das "Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage" v. 12.7.2018 eingeführt und hat v.a. zu Ergänzungen der Zivilprozessordnung (ZPO) geführt. Mit der Musterfeststellungsklage soll das Ungleichgewicht zwischen mächtigem Unternehmer und kleinem Verbraucher ausbalanciert werden. Ansprüche gegen Unternehmen, die sich unrechtmäßig verhalten, können so deutlich effektiver geltend gemacht werden. Die betroffenen Verbraucher brauchen keinen eigenen Anwalt, sondern können sich kostenlos zum Klageregister anmelden.

 
Praxis-Beispiel

Prozesse

Der erste Prozess dieser Art, in dem sich die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. und der VW-Konzern vor dem OLG Braunschweig gegenüber standen, ist inzwischen durch Klagerücknahme, die Teil eines Vergleichs war, beendet.

Weitere Klagen, z.B. zu den Themen wie Mieterhöhung, Kontoführungsgebühren und unzulässigen Preisklauseln folgten.

1.1 Zulässigkeit

1.1.1 Gerichtliche Zuständigkeit

Für die Musterfeststellungsklage ist in erster Instanz sachlich immer das OLG zuständig (§ 119 Abs. 3 GVG), und zwar in örtlicher Hinsicht am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, jedenfalls wenn er sich im Inland befindet (§ 32c ZPO).

1.1.2 Klagebefugnis

Nicht jeder kann eine Musterfeststellungsklage erheben. Aktivlegitimiert sind nur sog. qualifizierte Einrichtungen i. S. v. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG, also anerkannte und gelistete Verbraucherverbände mit der zusätzlichen Anforderung, dass sie

  • entweder mehr als zehn Verbände oder mehr als 350 natürliche Personen als Mitglieder haben,
  • seit mindestens vier Jahren in der Liste nach § 4 UKlaG oder dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 der RL 2009/22/EG des eingetragen sind,
  • in der Hauptsache nicht gewerbsmäßig aufklärend oder beratend Verbraucherinteressen wahrnehmen,
  • Musterfeststellungsklagen nicht zur Gewinnerzielung erheben,
  • maximal in Höhe von 5 % von Unternehmen finanziert sind (§ 606 Abs. 1 ZPO).

1.2 Verfahren

Das Verfahren der Musterfeststellungsklage ist in §§ 606 ff. ZPO geregelt.

1.2.1 Anforderungen an Klage

In der Klageschrift muss nachgewiesen werden, dass

  • die Klage von einem Verband eingereicht wird, der die o. g. Voraussetzungen erfüllt und
  • dass der Klagegegenstand mindestens zehn Verbraucher betrifft.

Zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung müssen sich mindestens 50 Verbraucher in das Klageregister eingetragen haben, sonst wird die Klage als unzulässig abgewiesen (§ 606 Abs. 3 ZPO).

1.2.2 Klageregister

Das Klageregister für Musterfeststellungsklagen wird beim Bundesamt für Justiz elektronisch geführt (§ 609 ZPO). Hier können sich alle Verbraucher eintragen, die von der Musterfeststellungsklage betroffen sind und die von den Ergebnissen des Prozesses profitieren wollen. Sie können ihre Anmeldung bis zum ersten Tag des Beginns der mündlichen Verhandlung in der I. Instanz vornehmen oder auch zurücknehmen (§ 608 Abs. 1, 3 ZPO).

1.2.3 Hinderungs- und Bindungswirkung der Musterfeststellungsklage

Ist der Tag der Rechtshängigkeit gekommen, also hat der Beklagte die Musterfeststellungsklage zugestellt bekommen, kann kein anderer mehr wegen des gleichen zugrunde liegenden Sachverhalts gegen ihn klagen (§ 610 Abs. 1 ZPO). Sie entfaltet insoweit Sperrwirkung. Ebenso ausgeschlossen ist die Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens über denselben streitigen Anspruch (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 VSBG).

Wird das Verfahren durch Vergleich oder durch Urteil beendet, bindet es die Verbraucher, die sich im Klageregister eingetragen haben. Weder Vergleich noch Urteil aber sind endgültig. Jeder Verbraucher kann innerhalb eines Monats seinen Austritt aus dem Vergleich erklären. Treten allerdings 30 Prozent oder mehr der angemeldeten Verbraucher aus, wird der Vergleich nicht wirksam (§ 611 Abs. 5 ZPO). Gegen das Urteil der ersten Instanz ist immer die Revision möglich; die grundsätzliche Bedeutung der Sache wird als gegeben betrachtet (§ 614 ZPO). Erwächst das Urteil in Rechtskraft, wirkt es für alle angemeldeten Verbraucher (§ 613 Abs. 1 ZPO).

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