Sachverhalt

Bei dem bulgarischen Verfahren ging es ähnlich wie in der Rechtssache C-642/11 (Stroy trans EOOD) um die Versagung des Vorsteuerabzugs aus bezogenen Lieferungen, weil die Finanzverwaltung der Auffassung war, dass die Lieferungen nicht belegt seien. Die Klägerin ist eine Einmann-GmbH, der der Vorsteuerabzug aus Rechnungen verschiedener Lieferanten mit der Begründung versagt worden war, dass die in Rechnung gestellten Lieferungen nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden seien. Zur Begründung berief sich die bulgarische Finanzbehörde auf die Ergebnisse der Gegenprüfungen bei den Lieferern, die die angeforderten Dokumente über die Herkunft der Gegenstände und den Ablauf der Lieferungen nicht vorgelegt hatten. In diesem Zusammenhang wurden von der Klägerin Beweise für die erhaltenen Lieferungen angefordert. Die Klägerin übermittelte Lieferscheine, Gewichtsbescheinigungen und Frachtbriefe; aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei ihrer Ausstellung ging die Finanzbehörde jedoch davon aus, dass die Herkunft der Gegenstände, ihre Beförderung sowie die Möglichkeit der Rechnungsaussteller, die Lieferungen zu tätigen, anhand dieser Unterlagen nicht festzustellen sei. Aus diesen Gründen wurde festgestellt, dass die Lieferer die Steuer ohne Grundlage in Rechnung gestellt hatten, und gemäß Art. 70 Abs. 5 des bulgarischen MwStG der Klägerin das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen sei.

Der EuGH musste in diesem Zusammenhang auch den Anwendungsbereich von Art. 203 MwStSystRL prüfen, wonach MwSt von jedem geschuldet wird, der sie in einer Rechnung ausweist. Das Vorlagegericht fragte, ob die Steuer (bei nicht erfolgter Lieferung) auch dann geschuldet wird, wenn ein Vorsteuerabzug aus der in Rechnung gestellten Steuer nicht geltend gemacht wird (weil dieser von der Finanzbehörde versagt wurde). Außerdem musste der EuGH prüfen, ob der Vorsteuerabzug bei der Klägerin versagt werden durfte, ohne dass berücksichtigt wurde, dass auf der Ausgangsseite ein Steueranspruch gegen den Lieferer bestanden hatte und die Steuer von ihm geschuldet wurde, weil der gegenüber dem Lieferer erlassene Steuerbescheid bestandskräftig geworden und eine Berichtigung wegen "fehlenden Eintretens eines Steuertatbestands" (mangels erfolgter Lieferung) nicht mehr möglich war.

 

Entscheidung

Der EuGH hat in seiner Entscheidung (die nahezu gleichlautend wie das Urteil vom gleichen Tag in der Rechtssache C-642/11 ergangen ist) unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung noch einmal den Zweck der Regelung in Art. 203 MwStSystRL angesprochen. Mit der Vorschrift soll der Gefährdung des Steueraufkommens entgegengewirkt werden, die sich aus dem Vorsteuerabzugsrecht aus Rechnungen mit gesondert ausgewiesener MwSt ergibt. Allerdings wird die in Art. 203 MwStSystRL geregelte Steuerschuld durch die von den Mitgliedstaaten in ihren innerstaatlichen Rechtsordnungen vorzusehende Möglichkeit begrenzt, jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zugunsten des Rechnungsausstellers zu berichtigen, wenn der Aussteller seinen guten Glauben nachweist oder die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat. Vor diesem Hintergrund hat Art. 203 keinen Sanktionscharakter.

Wenn der Rechnungsaussteller keine Berichtigungsgründe geltend macht, ist nach den weiteren Entscheidungsgründen die Finanzverwaltung nicht verpflichtet, zu prüfen, ob der Rechnung mit Steuerausweis tatsächlich steuerpflichtige Umsätze zugrunde lagen. Daher kann allein daraus, dass die Finanzverwaltung eine in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht berichtigt hat, nicht geschlossen werden, dass sie anerkannt hat, dass der Rechnung tatsächlich ein steuerpflichtiger Umsatz zugrunde lag. Andererseits ist die Finanzverwaltung unionsrechtlich nicht gehindert zu prüfen, ob die in einer Rechnung ausgewiesenen Umsätze tatsächlich erbracht wurden, und dass sie eine aufgrund des Steuerausweises geschuldete Steuer (bei Vorliegen der Gründe dafür) ggf. berichtigt. Von daher ist nach dem Urteil Art. 203 MwStSystRL so auszulegen, dass die in einer Rechnung ausgewiesene MwSt vom Rechnungsaussteller unabhängig davon geschuldet wird, ob tatsächlich ein steuerpflichtiger Umsatz vorlag. Allein aus dem Umstand, dass die Finanzverwaltung in einem an den Rechnungsaussteller ergangenen Steuerbescheid die vom Rechnungsaussteller angemeldete Steuer nicht berichtigt hat, kann nicht geschlossen werden, dass die Finanzverwaltung anerkannt hat, dass der Rechnung ein tatsächlich bewirkter steuerpflichtiger Umsatz zugrunde lag.

Nach den weiteren Entscheidungsgründen hindern die Art. 167 und 168 MwStSystRL sowie der Neutralitätsgrundsatz, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung nicht daran, einem Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug mangels Eingangsumsatz zu versagen, obwohl die vom Rechnungsaussteller angemeldete Steuer (im Sinne des Art. 203 MwStSystRL) nicht berichtigt wurde. Der EuGH bekräftigt, dass ein Vorsteuerabzug nur aus steuerpflichtigen Eingangsumsätzen möglich ist, nicht aber aus ei...

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