Nach der BFH-Rechtsprechung geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistungserbringers (Insolvenzschuldners) nach § 80 Abs. 1 InsO die gesamte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch die Empfangszuständigkeit für die offenen Forderungen auf den Insolvenzverwalter über. Dadurch kommt es zu einer Aufspaltung des Unternehmens in die drei Unternehmensteile

  • "vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil"
  • "Insolvenzmasse" und
  • "freigegebenes Vermögen".

Der Insolvenzschuldner ist aufgrund des Übergangs der Empfangszuständigkeit für seine offenen Forderungen auf den Insolvenzverwalter selbst nicht mehr in der Lage, diese rechtswirksam in seinem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zu vereinnahmen. Für offene Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt daher spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil ein (Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen). Allein das Bestehen einer Aufrechnungslage schließt nicht aus, dass eine Forderung uneinbringlich i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird.[1] Diese Grundsätze gelten auch, wenn das Gericht das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung angeordnet hat.[2] Die in den offenen Forderungen enthaltene Umsatzsteuer ist deshalb nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen. Es handelt sich dabei um die erste Berichtigung, die zu einem Erstattungsanspruch gegenüber dem Finanzamt führt. Die entsprechende BFH-Rechtsprechung verstößt weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmereinheit oder gegen Art. 90 MwStSystRL.[3]

Vereinnahmt der Insolvenzverwalter später das zunächst uneinbringlich gewordene Entgelt ganz oder teilweise, ist der Umsatzsteuerbetrag erneut zu berichtigen (zweite Berichtigung).[4] Diese aufgrund der Vereinnahmung vorzunehmende Berichtigung begründet eine sonstige Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.[5]

 
Praxis-Beispiel

Vereinnahmung von Forderungen durch den Insolvenzverwalter

Ein späterer Insolvenzschuldner hat im Zeitpunkt der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters noch offene Forderungen i. H. v. 119.000 EUR aus steuerpflichtigen Umsätzen zum allgemeinen Steuersatz von 19 %, die er vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgeführt hat. Zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmt der Insolvenzverwalter hiervon 71.400 EUR.

Durch die Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters werden sämtliche Forderungen i. H. v. 119.000 EUR aus rechtlichen Gründen uneinbringlich, weil die Leistungsempfänger rechtlich nicht mehr an den späteren Insolvenzschuldner leisten können. Die in diesen Umsätzen enthaltene Umsatzsteuer i. H. v. 19.000 EUR ist nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zulasten des Finanzamts zu berichtigen (erste Berichtigung). Aufgrund der Vereinnahmung von Forderungen i. H. v. 71.400 EUR durch den Insolvenzverwalter ist die darin enthaltene Umsatzsteuer von 11.400 EUR nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut, diesmal zugunsten des Finanzamts zu berichtigen (zweite Berichtigung), jedoch im Unternehmensteil "Insolvenzmasse". Somit stellen die daraus resultieren Umsatzsteuerforderungen des Finanzamts i. H. v. 11.400 EUR sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar.

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