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Ein in der Praxis der Unternehmensführung erhebliches Problem stellt die Frage nach dem Zeitpunkt respektive nach dem Turnus einer Überschuldungsprüfung dar. Zu diesem Problemaspekt stellt Schmidt heraus: "Das praktische Schwergewicht lag nach dieser Methode (gemeint ist die vorstehend skizzierte zweistufige Überschuldungsprüfung nach der Insolvenzrechtsreform 1999, N.W.) ganz klar bei der Prognose, bei dem Prognosezeitraum und bei der durch Finanzplanung zu belegenden Liquiditätserwartung. Das deckt sich durchaus mit dem Gebaren eines "ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" (…) der einen Insolvenzstatus selbstverständlich erst aufmachen wird, wenn die Unternehmensprognose zu Zweifeln Anlass gibt."[1] Eine konkrete Hilfestellung ergibt sich daraus allerdings nicht. Völlig zu Recht kritisiert daher Wackerbarth: "Damit wird nicht klar, was und wann der Geschäftsleiter nun genau tun soll. Soll er ständig Prognosen anstellen, die irgendwann zu Zweifeln Anlass geben und (erst) dann die Aufstellung einer echten Fortbestehensprognose gebieten? Oder geht es lediglich um eine nicht näher bestimmte Selbstprüfungsobliegenheit des Geschäftsleiters?"[2] In der Literatur werden bezüglich des Zeitpunkts für eine Überschuldungsprüfung ganz unterschiedliche Auslöser diskutiert. So z. B. der Verlust von mehr als der Hälfte des Stammkapitals oder die Feststellung einer handelsbilanziellen Überschuldung. Problematisch ist bei derartigen Indikatoren jedoch, dass die Aufzehrung des Eigenkapitals grundsätzlich erst mit der Aufstellung der Bilanz festgestellt werden kann und diese regelmäßig erst mehrere Monate nach dem Bilanzstichtag erfolgt. Häufig wird der Eigenkapitalverlust zudem nicht erst am Jahresende (und damit zum Bilanzstichtag), sondern schon unterjährig eingetreten sein, sodass derartige Vorschläge für die Praxis nur bedingt tauglich sind und in jedem Fall eine unterjährig fortlaufende Statusrechnung erforderlich machen.

Auch die Kopplung an alternativen Indikatoren bringt weitere Probleme mit sich. So stellen Möhlmann-Mahlau/Schmitt diesbezüglich heraus: "Eine Überschuldungsprüfung könnte in einem frühen Stadium bereits erwogen werden, sofern Erfolgsgrößen wie die Gesamtleistung, der Rohertrag oder das operative Ergebnis zurückgehen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass ein negativer Geschäftsverlauf nicht zwingend in eine Überschuldung münden muss. Ebenfalls eher ungeeignet erscheint der Vorschlag, auf den Verlust der Kreditwürdigkeit einer Gesellschaft abzustellen. Denn auch hier ist der genaue Zeitpunkt nicht bestimmbar. Ein justitiabler, gar objektiver Indikator liegt nicht vor."[3] Ein einheitlicher und eindeutiger Zeitpunkt für eine vorzunehmende Überschuldungsprüfung ist damit im Ergebnis nicht auszumachen. Dies führt in der Praxis zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass ein Insolvenzantrag wegen Überschuldung in aller Regel erst deutlich nach dem tatsächlichen Eintritt der Überschuldung gestellt wird, da der Eintritt der Überschuldung und die Kenntniserlangung in der Regel nicht auf den gleichen Zeitpunkt fällt.

Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Geschäftsführung jedoch insbesondere bei Vorlage eindeutiger Krisenindizien auf Basis der letzten aufgestellten Jahres- oder Zwischenbilanz (z. B. vorliegende Unterbilanz, die sich bereits durch einen Verlust von mehr als der Hälfte des Eigenkapitals manifestiert hat, oder eine bereits vorliegende bilanzielle Überschuldung) zu einer permanenten Selbstprüfung verpflichtet. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der geltenden straf- und haftungsrechtlichen Vorschriften (z. B. §§ 43, 64 GmbHG, 266 StGB etc.). Für den Unternehmer besteht damit die Verpflichtung auch unabhängig von den o. g. Krisenindizien ständig über die aktuelle wirtschaftliche Lage der Unternehmung Informationen einzuholen und mittels des Rechnungswesens auf eine Überschuldung "laufend sorgfältig zu prüfen". Diese Verpflichtung zu einer laufenden Beobachtung ergibt sich auch aus § 15a InsO, nach dessen Absatz 1 die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen haben.

Als derartige Krisenindizien können angesehen werden:

  • Umsatzeinbrüche verbunden mit einem steigenden Vorratsbestand,
  • Forderungsausfälle,
  • Überziehung von eingeräumten Kreditlinien bei Banken,
  • Zustellung von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden,
  • Forderungsausfälle,
  • negative operative Cashflows.[4]
[1] Schmidt, DB 2008, S. 2469.
[2] Wackerbarth, NZI 2009, S. 145.
[3] Möhlmann-Mahlau/Schmitt, NZI 2009, S. 21.
[4] Richter, in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 2015, § 79 Rz. 30; Mock, in Uhlenbruck, InsO, 2019, § 19 Rz. 48; zu den Dokumentationspflichten vgl. Mock, in Uhlenbruck, InsO, 2019, § 19 Rz. 46.

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