19 Ausgangsfall: Zielkonflikt zwischen Controlling- und steuerlicher Sicht

Die Ausgangssituation ergibt sich aus dem Umstand, dass Controller mit VP i. d. R. andere Ziele verfolgen als Steuerexperten. Daraus resultieren in der Praxis Zielkonflikte. Abbildung 200 fasst die unterschiedlichen Ziele zusammen und betrachtet die zentrale Frage, ob – trotz des angesprochenen Konflikts – sowohl die Controlling- als auch die steuerlichen Ziele mit demselben VP erreicht werden können:

Abb. 200: Ziele und Zielkonflikte aus Controlling- und steuerlicher Sicht

In diesem Kapitel wollen wir folgenden Fragen anhand eines Beispielsfalls auf den Grund gehen:

  • Wie äußern sich solche Zielkonflikte in der Praxis?
  • Was sind die Ursachen der Zielkonflikte?
  • Welche Konsequenzen können sich aus den unterschiedlichen Sichtweisen ergeben?
 

Beispielsfall:

Der Fall betrifft die konzerninterne Lieferung von Fertigprodukten von einer deutschen StrategieträgerProduktionsgesellschaft (›Produzent P‹) an eine ausländische Routine-Vertriebsgesellschaft (›Vertrieb V‹). Abbildung 201 zeigt die Herstellkosten der Produktionsgesellschaft, die Vertriebskosten der Vertriebsgesellschaft, den Verkaufspreis, den der Kunde zu zahlen bereit ist, und als Residualgröße die Konzern-EBIT-Marge i. H. v. 70, die steuerlich fremdüblich zwischen Produzent und Vertrieb verteilt werden muss.

Abb. 201: Konzerninterne Lieferung von Fertigprodukten von der Produktions- an die Routinevertriebsgesellschaft

Der Fall zeigt eine Konzern-EBIT-Marge von 70. Nun stellt sich die Frage, wohin diese 70 allokiert werden sollen: 100 % zur Produktion oder 100 % zum Vertrieb oder mit welcher anderen prozentualen Aufteilung? Diese Frage dürfte erfahrungsgemäß in der Praxis von Controllern anders als von Steuerexperten beantwortet werden. Insbesondere dann, wenn mit VP gesteuert wird, wenn 1-Preis-Systeme implementiert sind oder wenn die Performance-Messung und Incentivierung der Führungskräfte anhand des Einzelgesellschafts-EBITs erfolgt.

Wie beurteilt ein Controller den Fall?

Nach der Controlling-Lehre, insbesondere dem Center-Typen-Konzept[835], würde man i. d. R. die Produktion als Cost-Center und den Vertrieb als Revenue- oder Profit-Center sehen. Das heißt, die Marge wird im Vertrieb und nicht in der Produktion gezeigt. Wir weisen darauf hin, dass dies selbstverständlich nicht allgemeingültig ist. Controllingkonzepte entwickeln sich weiter, sodass Konzerne die Produktion und den Vertrieb durchaus abweichend vom Center-Typen-Konzept beurteilen könnten. Hier bleiben wir allerdings bei der Lehrbuch-Sichtweise. Dies würde bedeuten, dass die Produktion keine Marge, der Vertrieb hingegen die volle Residualmarge ausweisen würde. Es ergäbe sich ein Controlling-VP auf Basis der Herstellkosten, gegebenenfalls zuzüglich eines fixen Gewinnaufschlags (C+-Methode). Bei Anwendung der C+-Methode mit 5 % Markup-Ziel würde sich beispielsweise ein Controlling-VP i. H. v. 420 ergeben (siehe nachfolgende Abbildungen).

Wie beurteilt ein Steuerexperte den Fall?

Aus steuerlicher VP-Sicht wird zuerst eine Funktions- und Risikoanalyse[836] durchgeführt, dann werden beide Gesellschaften charakterisiert[837], schließlich wählt man die passende VP-Methode[838], um zu erreichen, dass die Routinegesellschaft[839] eine stabile (d. h. wenig schwankende) und relativ geringe fremdübliche Marge erzielt, sodass der Strategieträger[840] das Residualergebnis erhält.

Im vorliegenden Fall unterstellen wir, dass der Produzent als sog. Strategieträger und der Vertrieb als sog. Routine-Vertriebsgesellschaft charakterisiert wird. Bei der weitaus überwiegenden Zahl der Konzerne, die wir in der Praxis gesehen haben, trifft diese Charakterisierung zu. Der Produzent ist oftmals für Einkauf, Entwicklung und Produktion verantwortlich und er besitzt die wesentlichen materiellen und immaterielle Wirtschaftsgüter. Als steuerlich passende VP-Methode würde man die Wiederverkaufspreismethode (R-[841]) oder die Nettomargen-Methode (TNMM[842]) wählen. Beispielsweise würde sich bei Anwendung der TNMM-Methode mit 3 % EBIT-Margen-Ziel (›ROS‹) ein steuerlicher VP i. H. v. 462 ergeben (siehe auch dazu die nachfolgenden Abbildungen).

Zusammenfassend kann man festhalten, dass beide Sichten zu vollständig gegensätzlichen Ergebnisallokationen führen und somit ein Zielkonflikt vorliegt: Welcher VP ist nun ›richtig‹? In 1-Preis-Systemen muss man sich nun für den einen oder den anderen VP entscheiden, mit den Folgen, die wir weiter unten darstellen. Bei 2-Preis-Systemen würde man je Artikel die zwei verschiedenen VPs systemisch einpflegen und fakturieren bzw. reporten. Abbildung 202 zeigt das Ergebnis der Beurteilung aus Controlling- und steuerlicher Sicht sowie den Zielkonflikt:

Abb. 202: Zielkonflikte aufgrund von Routine-/Strategieträgerkonzept versus Center-Typen-Konzept

Welche zahlenmäßigen Auswirkungen ergeben sich aus den unterschiedlichen Sichten?

Abbildung 203 zeigt den Unterschied der Ergebnisverteilung für den Fall, dass das Controlling die C+-5 %-Methode und die Steuerexperten die TNMM-3 %-ROS-Methode anwenden würden[843]:

Ab...

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