Die Ausgangslage bei der Umsatzsteuer ist durch eine hohe Eigenverantwortung des Unternehmens durch Selbstveranlagung[1], umfangreiche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, eine hohe Prüfungsrate durch Umsatzsteuersonderprüfung und Umsatzsteuer-Nachschau[2] und durch ein hohes Schadens- und Haftungsrisiko bei unberechtigtem Steuerausweis oder bei Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer (Haftung nach § 14c und § 25d UStG) gekennzeichnet. Maßgeblich und risikobehaftet sind eine vollständige Dokumentation der Vertragspartner, die Identifikation der Leistungsbeziehungen und der Zeitpunkt der Leistungserbringung. Beim Vorsteuerabzug[3] kommt es auf die vollständige und richtige Dokumentation der Leistungserbringer und auf das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Eingangsrechnung[4] an. Besondere Aufmerksamkeit ist erkennbar missbrauchsanfälligen Geschäftsbereichen zu widmen. Risikofelder im Bereich der Ausgangsumsätze bestehen insbesondere bei der innergemeinschaftlichen Lieferung[5]. Hier kommt es maßgeblich auf die Dokumentation des Leistungserbringers, auf eine Überprüfung der USt-ID Nummer, auf eine formell ordnungsgemäße Ausgangsrechnung[6], das Vorliegen eines Belegnachweises und Buchnachweises[7] und die korrekte Erfassung von steuerbegünstigten oder steuerfreien Ausgangsumsätzen an. Besondere Probleme können sich bei Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft ergeben, wenn die Eingliederungsvoraussetzungen (finanzielle, wirtschaftliche, organisatorische Eingliederung) nicht erkannt werden.[8]

Besondere Anforderungen an die Compliance-Organisation bestehen wegen der Umsatzsteuer als transaktionale Steuer im Unternehmen.[9] Umsätze werden durch Einzeltransaktionen ausgelöst und regelmäßig dem Zentralbereich, also der Buchführung und der Steuerabteilung, automatisiert übermittelt wird.[10] Eine Bewertung des Vorgangs z. B. zur Frage des Vorsteuerabzugs erfolgt jedoch im jeweiligen Geschäftsbereich.[11] Unerlässlich ist daher eine Compliance-Organisation, die die Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Umsatzsteuer im gesamten Unternehmen klar regelt und die Prozessschritte so strukturiert, dass die Vorgänge dezentral richtig erfasst und bewertet werden sowie dezentrale Informationen dort ankommen, wo sie für Anmeldungszwecke verarbeitet werden können.[12] Ziel muss es sein, das gesamte Unternehmen für Umsatzsteuerzwecke in seinen Prozessabläufen zu erfassen und abzubilden.[13] Zur Vermeidung von Compliance-Verstößen sind darüber hinaus im Rahmen von Compliance-Programmen Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, Tax Compliance-Risiken entgegenwirken.[14]

Typische steuerstrafrechtlich relevante Bereiche bei Eingangsumsätzen sind Vorsteuererschleichung durch Scheinrechnungen und Scheinunternehmen sowie die vorsätzliche Einbindung in ein Umsatzsteuer-Betrugssystem als Missing-Trader oder Distributor. Hier wird regelmäßig auch ein funktionierendes Tax Compliance Management System Leitungspersonen und Unternehmen nicht vor Sanktionen schützen können, wenn Verdachtsmomente nicht erkannt wurden. Ausnahmen können bestehen, wenn, wie bereits erwähnt (s. Tz. 1), individuelles und zielgerichtetes Fehlverhalten womöglich unter Umgehung von Kontrollsystemen im Unternehmen vorliegt. Auch bei undoloser Einbindung in ein Umsatzsteuer-Betrugssystem können Tax Compliance-Maßnahmen vor Sanktionen schützen. Allerdings bestehen hier hohe Anforderungen an das "kennen müssen" des Missbrauchs in der Lieferkette (Gefahr der Haftung nach § 25d UStG und Gefahr der Versagung des Vorsteuerabzugs und der Mehrwertsteuerbefreiung).[15]

Hingegen kann eine etabliertes und bewährtes Tax Compliance Management System Unternehmensverantwortliche und das Unternehmen selbst vor Sanktionen schützen, wenn ein Wechsel der Steuerschuldnerschaft gem. § 13b UStG durch Erweiterung des Katalogs der dem sog. Reverse Charge-Verfahrens unterfallenden Waren und Leistungen schlicht übersehen wird oder der Maßstab der Vorsteueraufteilung oder Fragen der Umsatzsteuer-Befreiung für Ausgangsleistungen bei z. B. Einnahmen aus Auftragsstudien oder Gutachten (§ 4 Nr. 14b UStG) nicht gelingt.

[1] § 168 AO, § 18 UStG; zur Wirkung der Steueranmeldung vgl. Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 168 Rn. 1
[7] § 17a und § 17c UStG
[9] dazu Alzuhn/Kober, DB 2018, 794f.
[10] vgl. Bleckmann, BB 2017 S. 352, 353
[11] Beckmann, BB 2017 S. 352, 353
[12] vgl. Bleckmann, BB 2017 S. 352, 354; Alzuhn/Kober, DB 2018 S. 794, 785; IDW Praxishinweis 1/106 Rn. 38
[13] Bleckmann, BB 2017 S. 352, 355; zur Abbildung der Prozessabläufe in einer Tax Risk Matrix: Kiedel/Duscha/Grünwald, MwStR 2016 S. 942, 949
[14] IDW Praxishinweis 1/2016, Rn. 43; Bleckmann, BB 2017 S. 352, 355; Kiesel/Duscha/Grünwald, MwStR 2018 S. 942, 947

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