Die tatsächliche Verständigung spielt in der Praxis dann eine Rolle, wenn für das Finanzamt nach der Abgabenordnung Spielraum für Schätzungen, Bewertungen bzw. Ermessen besteht.[1]

§ 162 AO lässt die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (= Tatsachen) ausdrücklich zu, wenn diese nicht ermittelt werden können. Bei einer tatsächlichen Verständigung kommt es dann zu "einvernehmlichen Schätzungen". Damit wird der "Beweisnotstand" des Steuerpflichtigen behoben, wenn er seiner Mitwirkungspflicht bestmöglich nachgekommen ist. Das Finanzamt wird sich jedoch nur dann auf eine "einvernehmliche Schätzung" einlassen, wenn den Steuerpflichtigen kein großes Verschulden an einer unmöglichen Sachverhaltsaufklärung trifft.

Vor den Finanzgerichten werden im Erörterungstermin oder in der mündlichen Verhandlung häufig Verfahren beendet, indem nach einer tatsächlichen Verständigung die Hauptsache von beiden Prozessparteien übereinstimmend für erledigt erklärt wird.

9.1 Betriebsprüfung

Im Rahmen der Außenprüfung muss das Finanzamt nach § 199 AO die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zur Steuerpflicht und deren Bemessung umfassend (zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen) prüfen.

Erfahrungsgemäß finden Betriebsprüfungen einige Jahre nach Ablauf des maßgeblichen Kalenderjahres statt, sodass trotz ordnungsgemäßer Aufbewahrung der Unterlagen manche Sachverhalte nicht mehr vollständig aufklärbar sind.

§ 201 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet das Finanzamt grundsätzlich, strittige Sachverhalte mit dem Steuerpflichtigen zu besprechen. Diese Erörterungspflicht beinhaltet auch das Recht, tatsächliche Verständigungen vorzunehmen.

Einigungen in der Schlussbesprechung sind die Regel und das Ergebnis wird dann im Prüfungsbericht gemäß § 202 AO festgehalten.[1]

 
Achtung

Prüfungsbericht selbst bindet nicht

Der Prüfungsbericht selbst entfaltet keine Bindungswirkung. Steuerpflichtige können sich damit nicht auf das berufen, was im Bericht steht. Er dient – ob mit oder ohne Besprechungsprotokoll – ausschließlich der Dokumentation.

Es gilt die Vermutung der Unverbindlichkeit für im Rahmen der Außenprüfung getroffene Abreden. Die Worte "Übereinstimmung erzielt" reichen nicht!

Eine tatsächliche Verständigung ist nicht bindend, wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt. In Einzelfällen können die Rohgewinnaufschlagsätze auch außerhalb des von der Richtsatzsammlung ausgewiesenen Rahmens liegen, da es sich sowohl beim oberen als auch unteren Satz nicht um einen absoluten, sondern um einen gewogenen Wert handelt.[2] Das kann nicht nur dann der Fall sein, wenn die Vereinbarung gegen die Regeln der Logik oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Gegebenenfalls ist Steuerpflichtige an die tatsächliche Verständigung nicht gebunden, wenn sich später herausstellt, dass es sich fast bei allen nicht in der Buchführung des Steuerpflichtigen erfassten Ebay-Verkäufen um Stornierungen handelt, und sich die Beteiligten also auf die Zuschätzung nicht vor dem Hintergrund bestehender Unsicherheiten über den nicht, nur schwierig oder nur unter erheblichem und unangemessenem Aufwand aufklärbarer tatsächlicher Umstände, sondern auf der Grundlage unzulänglicher Ermittlungen der Außenprüfung festgelegt haben.[3]

An einer Besprechung im Rahmen einer Betriebsprüfung zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung zwischen Steuerpflichtigem und Finanzamt muss der für die Steuerfestsetzung zuständige Sachgebietsleiter teilgenommen haben.[4]

9.2 Steuerstrafverfahren

Die tatsächliche Verständigung ist auch im Steuerstrafrecht möglich.[1] Eine gescheiterte Verständigung im Strafverfahren kann von vornherein weder Bindungswirkung noch Vertrauensschutz begründen.[2] Der Vorsitzende teilt in der Hauptverhandlung allen Beteiligten gem. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StGB stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt.[3] Ist während einer Außenprüfung parallel ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig, ist auf Folgendes zu achten:

  • Die tatsächliche Verständigung wird innerhalb des Besteuerungsverfahrens herbeigeführt.[4]

    Der BFH hat entschieden, dass eine tatsächliche Verständigung (hier: über den Umfang nicht verbuchter Erlöse aus dem Verkauf des Wertstoffs Monolith), die vom Sachgebietsleiter der Steuerfahndung ohne Beisein eines für die Veranlagung des Steuerpflichtigen zuständigen Amtsträgers abgeschlossen wurde, keine Bindungswirkung entfalten kann, auch wenn zwischen Steuerfahndung und "veranlagender Betriebsprüfung" konkludent eine "arbeitsteilige" Vorgehensweise vereinbart worden sein soll.[5]

    Es gibt keine Einigung über die Rechtsfolgen (Strafen, Bußg...

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