Nach einer Ansicht besteht bei den Offenbarungspflichten die Pflicht zur Orientierung an der höchstrichterlichen Rechtsprechung und den Richtlinien der Finanzverwaltung, welche den typisierten Empfängerhorizont der Finanzbehörde darstellen sollen.[1]

Bei dieser Auffassung schließt sich die Frage an, ob Steuerpflichtige zusätzlich (in Erläuterungen, Anlagen) etwas offenbaren müssen, wenn sie eine andere Rechtsauffassung vertreten als (mutmaßlich) das Finanzamt. Dies impliziert die weitere Frage, was dann eigentlich zu offenbaren wäre. Verlangt man die Ausrichtung an der Rechtsansicht des Finanzamts, wäre folgerichtig die Mitteilung all dessen erforderlich, was eine Nichtanerkennung durch das Finanzamt verursachen kann. Vollständig ist eine Erklärung nach dieser Ansicht erst, wenn sie auch die Umstände umfasst, die in diesen Fällen für die Steuerpflichtigen ungünstig sind oder sein können. Im Falle des § 42 AO ist es die Pflicht, der Finanzbehörde mitzuteilen, dass eine rechtliche Gestaltung ausschließlich aus steuerlichen Gründen gewählt wurde.[2]

Die Gegenmeinung weist darauf hin, dass die Richtlinien der Finanzverwaltung nicht an den Steuerpflichtigen adressiert und für diesen nicht verbindlich seien. BFH-Urteile wirkten nur zwischen den Verfahrensbeteiligten; für Dritte enthielten sie nur einen – allerdings gewichtigen –"Auslegungsvorschlag", den man zur Kenntnis nehmen könne oder auch nicht. Erst recht sei der Steuerberater nicht an die herrschende Meinung gebunden. Ein Gebot, die Rechtsprechung des BFH zu beachten, würde zudem einen Zwang zur Inanspruchnahme von Steuerberatung bedeuten, denn der Laie könne diese Urteile nicht beachten. Angaben in Steuererklärungen, Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen seien dann nicht unrichtig oder unvollständig, wenn sie auf vertretbaren Rechtsansichten beruhten. Der Steuerpflichtige ist nach dieser Ansicht von sich aus nicht verpflichtet, zweifelhafte Sachverhalte zu offenbaren.[3]

Die vermittelnde Ansicht schließlich empfiehlt, zur Vermeidung strafrechtlicher Risiken die umfassende Offenbarung des einer vertretbaren rechtlichen Wertung zu Grunde liegenden Sachverhalts.[4]

[1] Danzer, in: Kohlmann, Grundfragen des Steuerstrafrechts heute, S. 67 ff., S. 94, 95 f.
[2] Meine, wistra 1992 S. 81, 84.
[3] Vgl. aber zu Auskünften § 93 Abs. 3 Satz 1 AO,

OLG Düsseldorf, Urteil v. 2.2.1989, 3 Ws 953/88, Stbg 1991 S. 521; ; Dörn, wistra 1992 S. 241 ff.; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 370, Rnr. 128; Hanßen, Steuerhinterziehung und leichtfertige Steuerverkürzung S. 150 ff.; Meilicke, BB 1984 S. 1885 ff.; Pipping, Die "steuerlich erheblichen Tatsachen" i. R. der Steuerhinterziehung, S. 120, 129; Schmeer in Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Aufl. 2006, Rnr. 1539 ff.; Tipke, Steuerberater-Jahrbuch 1972/73, S. 509 ff., 527.

[4] Blumers, Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, S. 321 ff., 336, 351; Dickopf, Steuerberatung und strafrechtliche Risiken, S. 173 ff.; Fissenewert, DStR 1992 S. 1488; Irrgang, DB 1988 S. 788 ff.; Schmeer, in: Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Aufl. 2006, Rnr. 1539 ff.

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