Leitsatz

1. Ob ein nach § 3 Nr. 39 EStG steuerfreies Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielt wird, beurteilt sich ausschließlich nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben. Die Geringfügigkeitsgrenze ist auch unter Einbeziehung tariflich geschuldeter, aber tatsächlich nicht ausgezahlter Löhne zu bestimmen (sozialversicherungsrechtliches "Entstehungsprinzip").

2. Der ESt unterliegt auch bei einer geringfügigen Beschäftigung nur der tatsächlich zugeflossene Arbeitslohn ("Zuflussprinzip").

 

Normenkette

§ 3 Nr. 39 EStG 1999–2001, § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 SGB IV 1999–2001

 

Sachverhalt

Die Klägerin beschäftigte 1999 bis 2001 Aushilfskräfte. Diese erhielten jeweils das vereinbarte monatliche Entgelt von 630 DM ohne LSt-Abzug ausgezahlt. Die Klägerin führte hierfür die vorgeschriebenen Rentenversicherungsbeiträge ab. Nach dem einschlägigen Tarifvertrag stand auch geringfügig Beschäftigten ein Urlaubsgeld zu, das jedoch von den Aushilfen weder eingefordert noch ausgezahlt wurde.

Das FA vertrat die Auffassung, die Aushilfsarbeitsverhältnisse seien aufgrund des den Arbeitnehmern zustehenden Urlaubsgeldanspruchs nicht als geringfügige Beschäftigung steuerfrei i.S.d. § 3 Nr. 39 EStG a.F. Bei Berücksichtigung des Urlaubsgelds sei die Entgeltgrenze (im Monat 630 DM) überschritten.

Das FA nahm die Klägerin mit Nachforderungsbescheid in Anspruch. Das FG gab der Klage statt (FG Münster, Urteil vom 03.11.2004, 10 K 3345/03 L, Haufe-Index 1289404, EFG 2005, 262).

 

Entscheidung

Die Revision des FA führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Das bis 2003 für Sonderzuwendungen geltende sozialversicherungsrechtliche Entstehungsprinzip führe dazu, dass das nur geschuldete, aber nicht ausgezahlte Urlaubsgeld bei der Arbeitsentgeltgrenze zu berücksichtigen sei. Dies führe zum Verlust der Steuerfreiheit für geringfügig Beschäftigte. Bei der Berechnung der LSt sei aber nur der tatsächlich zugeflossene Arbeitslohn anzusetzen. Auch dies habe das FA beachtet.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung betrifft ausgelaufenes Recht. § 3 Nr. 39 EStG wurde zum 01.04.2003 aufgehoben. Nach dieser Vorschrift ist das Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, für das der Arbeitgeber Beiträge nach § 168 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI (geringfügig versicherungspflichtige Beschäftigte) zu entrichten hat, (unter weiteren Voraussetzungen) steuerfrei. Die Voraussetzungen für die Annahme einer geringfügigen Beschäftigung beurteilen sich demnach wegen des angeführten Verweises ausschließlich nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben.

In ständiger Rechtsprechung hat das BSG die Ansicht vertreten, dass – entsprechend dem "Entstehungsprinzip" – es für die Bemessung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags allein auf das tariflich geschuldete Arbeitsentgelt ankommt. Erst 2003 erfolgte eine entsprechende Gesetzesänderung (Beseitigung der sog. Phantomlohnfalle). Beitragsansprüche der Versicherungsträger für Sonderzahlungen entstehen nur noch dann, wenn das Arbeitsentgelt "ausgezahlt worden" und damit zugeflossen ist.

2. Eine Sonderzahlung – wie hier das Urlaubsgeld – ist nach der Rechtsprechung des BSG gleichmäßig auf die Zeiträume zu verteilen, in denen sie erarbeitet ("verdient") worden ist. Dies bedeutete im Streitfall, dass die Arbeitsentgeltgrenze für geringfügig Beschäftigte (im Monat 630 DM) überschritten war, da dem monatlichen Arbeitslohn ein Zwölftel des Urlaubsgeldanspruchs hinzuzurechnen war.

3. Der Umstand, dass das Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen zu berechnen ist (und wie im Streitfall zum Verlust der Steuerfreiheit führte), bedeutet indessen nicht, dass bei der Ermittlung der Höhe der nachzuversteuernden Löhne das tariflich geschuldete, tatsächlich aber nicht ausgezahlte Urlaubsgeld berücksichtigt werden darf. Das sozialversicherungsrechtliche "Entstehungsprinzip" ist nur für die Frage maßgeblich, ob es sich um ein Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung i.S.d. § 3 Nr. 39 EStG a.F. handelt. Die Höhe des steuerpflichtigen Lohns bestimmt sich dagegen allein nach dem einkommensteuerlichen Zuflussprinzip; nur zugeflossener Arbeitslohn unterliegt der ESt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.05.2008, VI R 57/05

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