Leitsatz

Mit dem unter den Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 27. März 2003 IV A 6‐S 2140‐8/03 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 6‐S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass) vorgesehenen Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer verstößt das BMF gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

 

Normenkette

§ 163, § 227, § 85 AO, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG, § 85, § 163, § 227 AO, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG, § 3 Nr. 66 EStG a.F., § 11 Abs. 4, § 60 Abs. 3, § 102 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger, ein Einzelunternehmer, wies in den Jahren 2001 bis 2006 Verluste aus. Ende 2005 vereinbarte er mit der Sparkasse einen Verzicht auf die nicht bedienbaren Forderungen, sofern er eine Vergleichszahlung leiste, was auch geschah. Das FA sah den sich aus den Forderungsverzichten ergebenden Sanierungsgewinn als steuerpflichtig an. Den beantragten Erlass lehnte es ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (Sächsisches FG, Urteil vom 24.4.2013, 1 K 759/12, Haufe-Index 5516766, EFG 2013, 1898). Im Revisionsverfahren entschied der X. Senat, dem Großen Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Frage vorzulegen, ob der sog. Sanierungserlass mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vereinbar ist (BFH, Beschluss vom 25.3.2015, X R 23/13, BFH/NV 2015, 1124, Haufe-Index 8007911, BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696).

 

Entscheidung

Der Große Senat hat diese Frage aus den unter Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen verneint.

 

Hinweis

Der Große Senat hat mit diesem Beschluss für Klarheit gesorgt, wenn auch nicht so, wie von vielen erhofft. Im Einzelnen:

1. Das von der Finanzverwaltung und von Teilen der Rechtsprechung sowie des Schrifttums als richtig erkannte Ziel, Sanierungsgewinne generell, jedenfalls aber nachdem sie mit Verlusten verrechnet worden sind, nicht zu besteuern, lässt sich mit einem Billigkeitserlass (BMF, Schreiben vom 27.3.2003, BStBl I 2003, 240) nach § 163 Satz 1 oder § 227 AO nicht erreichen. Die nach der BFH-Rechtsprechung für das Merkmal sachlicher Unbilligkeit maßgebenden Kriterien rechtfertigen keine Billigkeitsmaßnahmen für die im sog. Sanierungserlass beschriebenen Fälle.

2. Als Trost bleibt für den Einzelfall, dass auf besondere, außerhalb des sog. Sanierungserlasses liegende Gründe des Einzelfalls, insbesondere auf persönliche Billigkeitsgründe gestützte Billigkeitsmaßnahmen unberührt bleiben.

3. Der sog. Sanierungserlass gewährt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen eine steuerliche Begünstigung, die durch den Umstand veranlasst wird, dass die Gläubiger mit ihrem Forderungsverzicht zu erkennen gegeben haben, dass sie die Unternehmenssanierung für erforderlich und die ergriffenen Maßnahmen für Erfolg versprechend halten. Das Bedürfnis für eine solche Begünstigung wird aus dem wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Interesse am Erfolg der eingeleiteten Unternehmenssanierung hergeleitet. Ob sich der Fiskus in Anbetracht eines solchen Interesses an der Sanierung von Unternehmen beteiligt und in welcher Weise er dies tut, d.h. welche der verschiedenen in Betracht kommenden steuerlichen Erleichterungen für Sanierungsgewinne gewährt werden, ist eine allein dem Gesetzgeber obliegende politische Entscheidung.

4. Das BMF wird in gesetzesvertretender Weise tätig, wenn es mit im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen nicht zulässigen typisierenden Regelungen die vom Gesetzgeber aufgehobene Steuerbegünstigung von Sanierungsgewinnen unter (leicht) modifizierten Bedingungen wieder einführt, um einen angeblichen Zielkonflikt mit der InsO zu bereinigen.

5. Mit der Schaffung typisierender Regelungen für einen Steuererlass außerhalb der nach §§ 163 und 227 AO im Einzelfall möglichen Billigkeitsmaßnahmen nimmt das BMF eine strukturelle Gesetzeskorrektur vor und verstößt damit gegen das sowohl verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch einfachrechtlich (§ 85 Satz 1 AO) normierte Legalitätsprinzip.

6. Damit ist nun der Gesetzgeber aufgefordert, tätig zu werden. Bei der wohl von fast allen Seiten als notwendig angesehenen steuerlichen Verschonung der Sanierungsgewinne muss er allerdings das unionsrechtliche Beihilfeverbot im Auge behalten.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 28.11.2016 –GrS 1/15

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