1 Allgemeines

1.1 Aktueller Gesetzestext

 

Rz. 1

Der vorstehend abgedruckte Gesetzestext des § 9 UStG gilt unverändert seit dem 1.1.2004 (Rz. 18). Die Vorschrift gehört damit zu den gesetzgeberisch stabilen Normen des UStG, das sonst an vielen Stellen ständig geändert wird. Es gibt zu § 9 UStG im Vergleich zu anderen Normen relativ wenig Rechtsprechung; auch die Zahl der Verwaltungsanweisungen ist eher gering.

 

Rz. 1a

Nachdem das BVerfG im Urteil v. 8.12.2009[1] festgestellt hatte, dass das Haushaltsbegleitgesetz 2004 v. 29.12.2003[2], durch das an § 9 Abs. 3 UStG der letzte Satz angefügt wurde, nicht verfassungsgemäß zustande gekommen war, weil einige Vorschriften des Gesetzes erst im Vermittlungsverfahren ohne vorherige ordnungsgemäße Beratung im Parlament beschlossen wurden, erging das "Gesetz zur bestätigenden Regelung verschiedener steuerlicher und verkehrsrechtlicher Vorschriften des Haushaltsbegleitgesetzes 2004" vom 5.4.2011[3] zur Heilung dieser legislatorischen Mängel., Seither bestehen in verfassungsrechtlicher Hinsicht keine berechtigten Zweifel mehr an der Gültigkeit des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG..

[1] BGBl I 2010, 68 (Entscheidungsformel).
[2] BGBl I 2003, 3076, BStBl I 2004, 120.
[3] BGBl I 2011, 554.

1.2 Unionsrechtliche Vorgaben

 

Rz. 2

Die unionsrechtliche Grundlage für § 9 UStG findet sich in Art. 137 MwStSystRL – in Fortsetzung der schon in Art. 13 Teil C der 6. EG-RL bestehenden Rechtslage. Danach können die EU-Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich bei bestimmten steuerfreien Umsätzen für die Besteuerung, d. h. für die Steuerpflicht dieser Umsätze zu entscheiden. § 9 UStG setzt dies für Deutschland um. Die EU-Mitgliedstaaten haben – erlaubterweise – in ganz unterschiedlichem Umfang von Art. 137 MwStSystRL Gebrauch gemacht, sodass insoweit (leider) keine völlige Harmonisierung zu konstatieren ist. Der EuGH hat wegen des nur optionalen Umsetzungsauftrags an die nationalen Gesetzgeber nur selten Gelegenheit, sich mit den unionsrechtlichen Vorgaben zu befassen.

1.3 Bedeutung der Vorschrift im Mehrwertsteuersystem

 

Rz. 3

Die gem. § 15 Abs. 2 und 3 UStG wegen der Ausführung steuerfreier Umsätze vom Abzug ausgeschlossenen Vorsteuern gehören beim leistenden Unternehmer zu den Kosten des Umsatzes. Der Unternehmer wird diese Kostenbelastung regelmäßig bei seiner Preisbildung berücksichtigen, weil er nicht bereit sein wird, seinen Gewinn um die nichtabzugsfähigen Vorsteuern zu mindern. Gelingt die verdeckte Überwälzung der nichtabzugsfähigen Vorsteuern über den Preis auf den Leistungsempfänger, dann erhält dieser die Leistung mit einer Belastung an nichtabzugsfähiger Vorsteuer. Wenn der Leistungsempfänger die Leistung seinerseits zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze verwendet, geht der zum Preisbestandteil gewordene Vorsteuerbetrag des Vorunternehmers wiederum in die Kosten des Nachunternehmers ein. Bei kostendeckenden Entgelten wird dann Steuer auch bezüglich der nichtabzugsfähigen Vorsteuern erhoben, also USt von USt. Dieser Kumulationseffekt soll durch die Mehrwertsteuer grundsätzlich vermieden werden.

 
Praxis-Beispiel

Unternehmer U baut im Jahr 01 ein Bürogebäude zum Preis von 10 Mio. EUR zzgl. 19 % USt = 1,9 Mio. EUR. Die Baukosten betragen somit 11,9 Mio. EUR. Bei einer nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Vermietung des Gebäudes ist der Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 2 UStG bezüglich der Baukosten ausgeschlossen. Wenn U eine Jahresmiete i. H. v. 10 % der Baukosten erzielen will, muss die Miete 1,19 Mio. EUR betragen. Dieser Betrag belastet dann den Mieter in voller Höhe, weil ein Vorsteuerabzug für ihn wegen der Steuerfreiheit des Mietzinses nicht in Betracht kommt. U muss bei der Preisermittlung für seine Umsätze den Betrag von 1,19 Mio. EUR als Kosten berücksichtigen. Damit wird bei der Versteuerung seiner Umsätze auch auf diese 1,19 Mio. EUR USt erhoben werden, denn diese sind in seine Kosten eingegangen. Dies wiederholt sich bei jeder weiteren Umsatzstufe.

Hätte U den Vorsteuerabzug aus den Baukosten in Anspruch nehmen können, dann könnte er zur Erzielung der gleichen Verzinsung sich mit einer (Netto-)Miete von nur 1 Mio. EUR begnügen, müsste aber wegen deren Steuerpflicht USt zahlen. Die Steuer auf diese Miete beim Steuersatz von 19 % i. H. v. 190 000 EUR wäre beim Mieter unter den Voraussetzungen des § 15 UStG abzugsfähig; er wäre also nur mit 1 Mio. EUR vorbelastet. Bei der Versteuerung der Umsätze des Mieters entsteht dann keine Kumulation von USt. Die Überwälzung der USt auf seinen Mieter wird dem U ohne Weiteres in vollem Umfang gelingen, weil dieser zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

 

Rz. 4

Das Beispiel zeigt, dass die nachteiligen Folgen der Steuerfreiheit von Umsätzen in der Unternehmerkette dadurch vermieden werden können, dass zur Erhaltung des Vorsteuerabzugs von der Steuerbefreiung kein Gebrauch gemacht wird. Systematisch geboten und sinnvoll ist ein derartiger Verzicht auf eine Steuerbefreiung allerdings nur bei Umsätzen an Unternehmer, die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Hinzu kommt noch Folgendes: Wenn ein Unternehmer sowohl steuerpflichtige als auch steuerfreie Umsätze ausführt, muss...

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