Rz. 97

Die Anwendung von § 9 UStG setzt nicht nur die Unternehmereigenschaft des Leistenden (Rz. 21ff.) und des Leistungsempfängers (Rz. 77ff.) voraus. Die in § 9 UStG erwähnten Umsätze müssen außerdem für das Unternehmen des Leistungsempfängers erbracht werden. Mit dieser Voraussetzung wird die Verbindung zum Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 UStG hergestellt, denn auch der Vorsteuerabzug hängt u. a. davon ab, dass der Vorumsatz für das Unternehmen des Leistungsempfängers bezogen wurde. Da § 9 UStG, wie in Rz. 1ff. näher dargelegt, systematisch die Aufgabe hat, in der Unternehmerkette durch Ermöglichung des Vorsteuerabzugs die Kumulation von USt zu verhindern, ist es geboten, das Tatbestandsmerkmal "für dessen Unternehmen" in § 9 Abs. 1 UStG ebenso zu beurteilen, wie das entsprechende Tatbestandsmerkmal "für sein Unternehmen" in § 15 Abs. 1 UStG. Damit stellen sich bei § 9 Abs. 1 UStG auch die Probleme, welche sich bei § 15 Abs. 1 UStG ergeben.

 

Rz. 98

Nach den Grundsätzen, welche der BFH in dem sog. Angelteich-Urteil[1] aufgestellt hat, ist für die Frage, ob etwas für das Unternehmen des Leistungsempfängers bezogen wird, maßgeblich das unternehmerische Interesse an dem Bezug und dessen Verwendung für unternehmerische Zwecke. Der Unternehmer trifft also die Zuordnung des Bezugs zu seinem Unternehmen. Diese subjektive Entscheidung muss sich nach objektiven Kriterien in der Weise nachprüfen lassen, dass wirtschaftlich ein Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit nachvollziehbar ist.[2] Damit ist ein Bezug für das Unternehmen gegeben jedenfalls in den Fällen, in denen ertragsteuerlich Betriebsausgaben vorliegen. Die Frage, ob diese Betriebsausgaben abzugsfähig sind oder nicht, spielt für die Zuordnungsfrage keine Rolle. Ggf. greift bei den gem. § 4 Abs. 5 Nr. 1 bis 7 EStG nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben das Vorsteuerabzugsverbot gem. § 15 Abs. 1a UStG ein. Auch das Vorsteuerabzugsverbot gem. § 15 Abs. 1b UStG, das seit dem 1.1.2011 beim Bezug von Grundstücken hinsichtlich des nichtunternehmerisch genutzten Anteils gilt, berührt die Zuordnungsentscheidung nicht. Das zeigt sich daran, dass § 15 Abs. 6a UStG eine Vorsteuerberichtigung bei Änderung der Verwendungsverhältnisse erlaubt.

 

Rz. 99

In dem in Rz. 33 erwähnten Urteil v. 4.10.1995 hat der EuGH die Ausübung des Zuordnungswahlrechts nur auf den unternehmerisch genutzten Teil eines Gegenstands zugelassen – das ist auch nach der Schaffung des Vorsteuerabzugsverbots gem. § 15 Abs. 1b UStG ab dem 1.1.2011 weiterhin möglich (s. dazu Rz. 33 und Rz. 103), sodass der leistende Unternehmer, der § 9 UStG anwenden will, bei der Beurteilung, ob etwas für das Unternehmen des Leistungsempfängers bezogen wird, diese Grundsätze beachten muss – ein häufig nahezu unmögliches Unterfangen, weil der Leistende die Verhältnisse bei seinem Leistungsempfänger gar nicht so genau kennen wird, dass er immer eine richtige Entscheidung treffen kann. Die am Leistungsaustausch beteiligten Geschäftspartner müssen sich also über die Anwendung des § 9 UStG abstimmen.

 

Rz. 100

Hieraus ergeben sich u. U. für den Leistenden erhebliche Risiken, wenn die vom Leistungsempfänger gemachten Angaben nicht zutreffen oder wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Leistungsempfänger sein Zuordnungswahlrecht anders als vorgesehen ausübt (oder nur anders ausüben kann). Von besonderer Bedeutung ist auch die genaue Festlegung der Gegenleistung, d. h. es muss bestimmt werden, ob der Preis die USt, die sich ggf. durch Anwendung des § 9 UStG ergibt, enthält oder nicht. Schmidt[3] hat deshalb empfohlen, dass sich der leistende Unternehmer in Zweifelsfällen eine Bescheinigung des Leistungsempfängers darüber geben lassen soll, dass der Bezug für dessen Unternehmen erfolgt. Eine Bindungswirkung für das FA kann dadurch allerdings nicht erreicht werden. Das FA seinerseits darf Auskünfte über den Leistungsempfänger (z. B. dessen Unternehmereigenschaft, Art und Umfang der unternehmerischen Verwendung einer bezogenen Leistung) wegen des Steuergeheimnisses gem. § 30 AO ohne dessen Zustimmung nicht geben. Wenn das FA aber die Berechtigung der Anwendung des § 9 UStG z. B. nach einer Außenprüfung bestreitet, muss es ggf. die fehlende Unternehmereigenschaft oder andere Verhältnisse aus dem Bereich des Leistungsempfängers zur Begründung anführen. Insofern müssen die Verhältnisse des Leistungsempfängers u. U. gegenüber dem Leistenden offengelegt werden. Da dies aber einem Verwaltungsverfahren i. S. v. § 30 Abs. 2 Buchst. a AO dient, liegt darin keine unzulässige Offenbarung einer geschützten Kenntnis (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO).

 

Rz. 101

Angesichts dieser vielen subjektiven Voraussetzungen, die der leistende Unternehmer nur unter großen Schwierigkeiten auf die objektive Richtigkeit überprüfen kann, stellt sich die Frage, ob es für den Leistenden, wenn er unerkennbar vom Leistungsempfänger über ein in dessen Sphäre liegendes Tatbestandsmerkmal des § 9 UStG getäuscht wurde, Vertrauensschutz in Anspruch nehmen kann – ähnlich wie ...

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