Rz. 70

Ein in § 9 UStG aufgeführter steuerfreier Umsatz kann nur als steuerpflichtig behandelt werden, wenn er an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Dieses Tatbestandsmerkmal entspricht dem in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs: Die Vorleistungen müssen von einem Unternehmer für das Unternehmen des Leistungsempfängers erbracht werden. Es bietet sich daher an, die Auslegung dieser Bedingung in beiden Normen einheitlich vorzunehmen.

 

Rz. 71

Auch nach der Ersetzung der Eigenverbrauchsvorschriften gem. dem früheren § 1 Abs. 1 Nr. 2 Nr. 3 UStG ab dem 1.4.1999 durch die Tatbestände der unentgeltlichen Wertabgabe gem. § 3 Abs. 1b UStG und § 3 Abs. 9a UStG vertritt die Verwaltung die Auffassung, dass § 9 UStG auf die Fälle der unentgeltlichen Wertabgabe nicht anwendbar sei.[1]

 

Rz. 72

Dies erscheint unzutreffend, denn nachdem – entsprechend den Vorgaben in Art. 16 und Art. 26 MwStSystRL – die Gleichstellung der unentgeltlichen Umsätze mit entgeltlichen Umsätzen in § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG angeordnet wird, ist der Mangel einer anderen Person als Leistungsempfänger nicht mehr entscheidend. Gerade auch dieses fehlende Tatbestandsmerkmal wird durch die gesetzgeberische Methode der Fiktion überspielt. Deshalb spricht vieles dafür, die Anwendung des § 9 UStG ab dem 1.4.1999 bei den unentgeltlichen Wertabgaben zuzulassen, wenn der Begünstigte der unentgeltlichen Wertabgabe Unternehmer ist und diese für sein Unternehmen einsetzt, denn § 9 UStG spricht von Umsätzen gegenüber anderen Unternehmern.[2] Selbstverständlich gelten dann auch bei den unentgeltlichen Wertabgaben die Einschränkungen des § 9 Abs. 2 UStG (Rz. 165ff.).

 

Rz. 73

Damit wäre in den Fällen, in denen z. B. in einem unternehmerisch genutzten Gebäude, für das der Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde, der Unternehmer an einen unternehmerisch tätigen Familienangehörigen, der zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze ausführt, Büroräume unentgeltlich überlässt, die Anwendung des § 9 UStG zulässig, sodass zwar diese unentgeltliche Leistung gem. § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG (Verwendung eines vorsteuerentlasteten Gegenstands für außerunternehmerische Zwecke) mit der Bemessungsgrundlage "Ausgaben" gem. § 10 Abs. 4 UStG versteuert werden muss, aber keine Vorsteuerberichtigung gem. § 15a Abs. 1 UStG vorzunehmen ist. Beim Bau des Gebäudes wäre der Vorsteuerabzug bezüglich der unentgeltlich überlassenen Räume nicht gem. § 15 Abs. 2 UStG ausgeschlossen. Dass § 14 Abs. 4 UStG[3] in den Fällen des § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG die Erteilung einer Rechnung mit offenem Steuerausweis nicht erlaubt, steht der Anwendbarkeit des § 9 UStG nicht entgegen, denn die Nichterteilung einer Rechnung sagt über die Option zur Steuerpflicht durch den Unternehmer noch nichts aus (Rz. 35ff.). Bei Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils v. 8.5.2003[4], die nach dem BMF v. 13.4.2004[5] ab dem 1.7.2004 obligatorisch ist, war die unentgeltliche Wertabgabe von einem dem Unternehmen zugeordneten Grundstück steuerpflichtig; es bedarf also nicht der Option nach § 9 UStG. Dabei blieb aber weiterhin die Frage der Rechnungserteilung mit offenem Steuerausweis im obigen Sinne streitig.

 

Rz. 74

Durch das BMF v. 22.9.2008[6] hat die Verwaltung die Auffassung des BMF-Schreibens v. 13.4.2004 aber wieder aufgegeben. Die Entnahme von Grundstücken, die teilweise oder ganz vorsteuerentlastet sind, wird wieder als steuerfreier Umsatz angesehen.

 

Rz. 75

Der Aussage des Abschn. 9.1 Abs. 5 UStAE[7], dass § 9 UStG steuerbare Umsätze voraussetze, ist bezüglich der territorialen Seite der Steuerbarkeit zuzustimmen. Nur wenn der in § 9 UStG erwähnte steuerfreie Umsatz im Inland[8] steuerbar ist, kommt die Anwendung von § 9 UStG überhaupt in Betracht. Auf Umsätze, welche außerhalb des Inlands bewirkt werden, kann § 9 UStG keine Anwendung finden. Es gibt auch keinen fiktiven Verzicht auf die Steuerfreiheit des nicht im Inland bewirkten Umsatzes für den Fall der Steuerbefreiung bei Bewirkung im Inland (Rz. 76). Von Bedeutung ist dies im Zusammenhang mit dem Ausschluss des Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG: Der Vorsteuerabzug ist danach ausgeschlossen bei Vorbezügen, die der Unternehmer verwendet für Umsätze im Ausland, welche steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden.

 

Rz. 76

Der BFH hat in seinem Urteil v. 6.5.2004[9] die seinerzeitige Auffassung der Verwaltung, die tatsächlich als steuerpflichtig behandelte Grundstücksvermietung im Ausland sei für § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG unbeachtlich, abgelehnt mit der überzeugenden Begründung, dass das Neutralitätsgebot der Mehrwertsteuer die Entlastung der unternehmerischen Sphäre gebiete, wenn ein im Ausland zulässigerweise als steuerpflichtig behandelter Umsatz zu inländischen Vorbezügen geführt hat. Im Fall des BFH ging es um den Vorsteuerabzug im Inland im Zusammenhang mit in den Niederlanden tatsächlich als steuerpflichtig behandelten Vermietungsumsätzen. Der BFH nennt dazu als Nachweismöglichkeit für die steuerpf...

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