Rz. 311

Liegen die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vor, wird die Lieferung gem. Abs. 4 für den Unternehmer gleichwohl als steuerfrei angesehen, wenn

  • der Unternehmer sie als steuerfrei behandelt hat,
  • die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und
  • der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.
 

Rz. 312

§ 6a Abs. 4 UStG enthält eine Vertrauensschutzregelung für den Lieferanten, der im guten Glauben auf die Angaben seines Geschäftspartners die Steuerbefreiung geltend gemacht hat. Im Gegensatz zur Regelung in § 6 UStG für Ausfuhrlieferungen enthält § 6a UStG für die Steuerbefreiung im Binnenmarktverkehr zusätzliche Erfordernisse hinsichtlich der Person des Abnehmers, nämlich den Erwerb des Gegenstands für das Unternehmen des Abnehmers und die Erwerbsbesteuerung durch den Abnehmer. Diese Voraussetzungen der Steuerbefreiung kann der Unternehmer nur aufgrund der Angaben seines Abnehmers erfüllen. Um sein Abgabenrisiko insoweit zu mildern, trifft § 6a Abs. 4 UStG für den gutgläubigen und sorgfältigen Unternehmer einen besonderen Vertrauensschutz. Die Vorschrift stützt sich auf Art. 21 Nr. 1a und Art. 28c Teil A der 6. EG-Richtlinie i. V. m. der hierzu ergangenen Protokollerklärung.[1]

Eine vergleichbare Regelung ist in § 6 UStG für Ausfuhrlieferungen nicht vorgesehen. Gleichwohl lässt sich der Rechtsgedanke der Neutralität und Verhältnismäßigkeit, der in der Protokollerklärung zu Art. 28c Buchst. A der 6. EG-Richtlinie zum Ausdruck kommt, auch auf die Fälle der Ausfuhrlieferungen übertragen; danach darf die Anwendung der Umsatzsteuervorschriften auf keinen Fall zur Folge haben, dass die Steuerbefreiung verweigert wird, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Erwerber materiell falsche Angaben gemacht hat, während der Steuerpflichtige die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, bei Lieferungen seines Unternehmens einer inkorrekten Anwendung der Mehrwertsteuervorschriften vorzubeugen. Unter diesen Gesichtspunkten sieht der EuGH auch den Vertrauensschutz, den der Steuerpflichtige genießt, der als Opfer von betrügerischen Manipulationen die Steuerbefreiung verlieren würde.[2] Die Beurteilung über die für den Unternehmer nicht erkennbare Unrichtigkeit von Abnehmerangaben nach der Rechtsprechung des Senats hat bei Ausfuhrlieferungen im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO zu erfolgen.[3]

 

Rz. 313

Die Vertrauensschutzregelung korrespondiert mit der Steuerschuld des Abnehmers (Abs. 4 S. 2; s. Rz. 339). Eine vergleichbare Vorschrift besteht in § 14c UStG für den Fall, dass der Rechnungsausstelle unrichtigerweise einen Umsatzsteuerbetrag ausgewiesen hat.

 

Rz. 314

Mit dem BFH[4] ist davon auszugehen, dass die Frage des Vertrauensschutzes nach § 6a Abs. 4 UStG sich erst stellt, wenn der Unternehmer seinen Nachweispflichten gem. §§ 17a ff. UStDV vollständig nachgekommen ist, d. h., dass die Prüfung des Abs. 4 dahinstehen kann, wenn es am Nachweis nach § 6a Abs. 3 UStG fehlt.[5] Maßgeblich ist hierfür die formelle Vollständigkeit, nicht aber auch die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben.[6] Fehlt z. B. die nach § 17b Abs. 3 geforderte Angabe des Bestimmungsorts, kommt ein Vertrauensschutz nicht in Betracht.[7] Hat der Lieferer die Beleg- und Buchnachweise erbracht, deren Vorlage der Mitgliedstaat nach seinen entsprechenden Regelungen zum Nachweis der Voraussetzungen für die innergemeinschaftliche Lieferung verlangt, darf er auf die Rechtmäßigkeit seines Umsatzes vertrauen, wenn er alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung zu vermeiden. Dabei ist auf die Sicht des Unternehmers abzustellen.[8] Danach kann die Finanzbehörde nachträglich USt anfordern von einem gutgläubigen Lieferanten, der Beweise vorgelegt hat, die dem ersten Anschein nach sein Recht auf Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen belegen, die sich aber als falsch herausstellen, wenn nicht erwiesen ist, dass der Lieferant an der Steuerhinterziehung beteiligt war, und er alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.[9] Kein Vertrauensschutz wird für die Annahme gewährt, dass der angebliche Abnehmer mit dem wirklichen identisch sei[10], insbesondere, wenn der Leistungsempfänger widersprüchliche oder unklare Angaben zu seiner Identität macht.[11] Der Umstand, dass die Angaben in den Belegen widersprüchlich sind, ruft begründete Zweifel an der Richtigkeit der Belegangaben hervor.[12] Versendet der Abnehmer, weiß der liefernde Unternehmer, dass er nicht Absender ist und damit nicht als solcher im Frachtbrief bezeichnet werden kann; ein im Export erfahrener Unternehmer hätte dies zumindest wissen müssen und kann daher keinen Gutglaubenss...

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