Rz. 21

§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG beruht auf Art. 131 i. V. m. Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Danach befreien die Mitgliedstaaten (obligatorisch) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden. Die Vorschrift erlaubt es zwar nicht, Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz generell von der Steuerbefreiung auszunehmen. Sie lässt es aber zu, den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung zu beschränken und bestimmte einzelne Glücksspielarten mit Geldeinsatz zu besteuern. Nach Art. 401 MwStSystRL sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, z. B. Abgaben auf Spiele oder Wetten beizubehalten oder einzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob für die entsprechenden Spiel- oder Wettumsätze USt erhoben wird oder nicht.

 

Rz. 22

Das Steuersubstrat nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind Glücksspiele mit Geldeinsatz, von denen Wetten und Lotterien spezielle Arten sind. Ein "Glücksspiel mit Geldeinsatz" i. S. v. Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erfordert die Einräumung einer Gewinnchance an den Leistungsempfänger (Spieler) und im Gegenzug die Hinnahme des Risikos durch den Leistenden (z. B. Geräteaufsteller), die Gewinne auszahlen zu müssen. Die Gewinnchance muss in der Chance auf einen Geldgewinn bestehen. Nationale Vorschriften, wie z. B. die Erlaubnispflicht für die gewerbsmäßige Aufstellung von Tokenspielgeräten mit Tokenmanagern nach § 33c Abs. 1 GewO, sind für die Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs des "Glücksspiels" nicht maßgeblich.[1]

 

Rz. 23

Nach dem EuGH-Urteil v. 10.6.2010[2] lässt 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL es zu, dass ein Mitgliedstaat nur bestimmte (Renn-)Wetten und Lotterien der Steuerbefreiung unterwirft und andere Glücksspiele mit Geldeinsatz (hier: Umsätze mit Geldspielautomaten) von der Steuerbefreiung ausnimmt. Die Mitgliedstaaten haben aufgrund des Wortlauts von Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL, wonach sie Bedingungen und Beschränkungen für die Steuerbefreiung festlegen können, einen großen Ermessensspielraum. Dieser geht soweit, dass die Steuerpflicht auch – gemessen am Umsatzvolumen oder der Zahl der in einem Mitgliedstaat stattfindenden Glücksspiele – die Mehrheit der veranstalteten Glücksspiele umfassen darf. Der EuGH hat in gefestigter Rechtsprechung[3] entschieden, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Befugnis zur Festlegung der "Bedingungen und Beschränkungen" der Steuerbefreiung den Grundsatz der Neutralität zu beachten haben. Dies bedeutet, dass gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren und Dienstleistungen umsatzsteuerlich nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Insbesondere dürfen die Mitgliedstaaten die Anwendung der Steuerbefreiung für Glücksspiele nicht von der Identität oder Rechtsform des Veranstalters des Glücksspiels und ebenso wenig davon abhängig machen, ob es sich um eine erlaubte oder unerlaubte Tätigkeit handelt. Wesentlich ist demnach, dass die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten dahingehend ausgeübt wird, dass gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Glücksspielumsätze umsatzsteuerlich gleich behandelt werden. Der Neutralitätsgrundsatz als Grenze der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten im Rahmen des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL verbietet daher die Besteuerung bestimmter Glücksspielumsätze nicht, sofern alle gleichartigen Glücksspielumsätze erfasst werden. Dies hat der EuGH mit seinem Urteil in der Rs. C-58/09 bestätigt.[4]

 

Rz. 24

Der EuGH hat entschieden[5], dass der Neutralitätsgrundsatz verletzt ist, wenn "die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt". Aus dem Urteil in der Rechtssache C-58/09[6] ist jedoch zu folgern, dass der Neutralitätsgrundsatz nicht verletzt ist, wenn Glücksspiele und Glücksspielgeräte aller Art sowohl innerhalb als auch außerhalb zugelassener öffentlicher Spielbanken dergestalt gleich behandelt werden, dass sie der Besteuerung unterworfen werden. Werden dabei zugleich Wetten und Lotterien, die dem Rennwett- und Lotteriegesetz unterliegen, weiterhin steuerlich befreit, tritt ebenfalls keine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes ein, da diese Umsätze mit den "sonstigen Glücksspielumsätzen" nicht vergleichbar sind.

 

Rz. 25

Die Befugnis der Mitgliedstaaten, bestimmte Glücksspiele mit Geldeinsatz von der Umsatzsteuerbefreiung auszunehmen, schätzt der EuGH als weitreichend ein. Zwar ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten nicht sämtliche "Wetten, Lotterien und sonstigen Glücksspiele mit Geldeinsatz" besteuern dürfen.[7] Die Gleichbehandlung aller (sonstigen) Glücksspielumsätze innerhalb und außerhalb öffentlich zugelassener Spielbanken mit Ausnahme der dem Rennwett- und Lotteriegesetz unterliegend...

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