Rz. 9

§ 4 Nr. 10 UStG beruht auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL. Danach haben die Mitgliedstaaten "Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden", von der USt zu befreien. Die Regelung unterscheidet also zwischen den Versicherungsumsätzen an sich und den damit zusammenhängenden Dienstleistungen (sonstigen Leistungen), die von Maklern und Vertretern erbracht werden, wobei es sich insbesondere um Vermittlungsleistungen handelt. Die Vorschrift definiert weder den Begriff der Versicherungsumsätze noch den des Versicherungsmaklers oder -vertreters. Nach Auffassung des EuGH[1] liegt nach allgemeinem Verständnis ein Versicherungsumsatz vor, wenn sich der Versicherer verpflichtet, dem Versicherten gegen vorherige Zahlung einer Prämie beim Eintritt des Versicherungsfalls die bei Vertragsabschluss vereinbarte Leistung zu erbringen. Nach der weiteren Begründung dieses Urteils erfasst der Begriff "Versicherungsumsätze" zumindest den Fall, dass der fragliche Umsatz von dem Versicherer, der die Deckung des Versichertenrisikos übernommen hat, selbst getätigt wird. Weiterhin ist nach dieser Entscheidung ein Versicherungsumsatz auch die Verschaffung von Versicherungsschutz dergestalt, dass ein Unternehmer, der nicht selbst der Versicherer ist, aber im Rahmen einer Gruppenversicherung seinen Kunden einen solchen Schutz durch Inanspruchnahme der Leistungen eines Versicherers, der das versicherte Risiko zu decken übernimmt, verschafft.

 

Rz. 10

Sog. Backoffice-Tätigkeiten (z. B. Entgegennahme neuer Lebensversicherungsanträge, Bearbeitung von Policenänderungen, Ausstellung von Policen, Kündigung von Versicherungen, Bearbeitung von Ansprüchen, Verwaltung von Policen, Festsetzung und Auszahlung von Vermittlerprovisionen) können nicht als von Versicherungsmaklern und -vertretern erbrachte Dienstleistungen i. S. v. Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL angesehen werden. Zu den Dienstleistungen von Versicherungsmaklern und -vertretern gehören nur Dienstleistungen der Makler und Vertreter, die zugleich mit dem Versicherer und den Versicherten in Verbindung stehen.[2] Versicherungsmakler i. S. dieser Vorschrift sind Vermittler. Der Begriff der Versicherungsmakler bzw. Versicherungsvertreter i. S. d. Richtlinie 77/92 EWG v. 13.12.1976[3] ist nicht notwendigerweise wie die vergleichbaren Begriffe in der MwStSystRL auszulegen.[4] Menner-Herrmann[5] befassen sich mit der Frage, inwieweit das Outsourcing von Versicherungen nach dieser EuGH-Rechtsprechung eingeschränkt ist. Wege zum umsatzsteuerneutralen Outsourcing im Finanzdienstleistungs- und Versicherungssektor zeigt Schiller[6] auf. Beistandsleistungen im Straßenverkehr, zu denen sich eine Einrichtung gegenüber ihren Mitgliedern gegen Zahlung eines festen Jahresbeitrags verpflichtet, können den Begriff der "Versicherungsumsätze" i. S. v. Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL erfüllen und steuerfrei sein.[7]

 

Rz. 11

Nach Auffassung des EuGH[8] setzt ein Versicherungsumsatz seinem Wesen nach eine Vertragsbeziehung zwischen dem Erbringer der Versicherungsleistung und der Person, deren Risiken von der Versicherung gedeckt werden, d. h. dem Versicherten voraus. Demzufolge stellt die Verpflichtung eines Versicherungsunternehmens, gegen eine marktübliche Vergütung die Tätigkeit einer 100-%-Tochtergesellschaft auszuüben, die weiterhin Versicherungsverträge im eigenen Namen abschließt, keinen Versicherungsumsatz, sondern eine – steuerpflichtige – Leistung eigener Art dar. Gemessen an dieser Rechtsprechung dürfte ein Versicherungsumsatz auch bei einer Leistung des Versicherungsnehmers aufgrund des Versicherungsverhältnisses gegeben sein und § 4 Nr. 10 UStG mit seinem Rückgriff auf das VersStG und mit seiner Steuerbefreiung für die Verschaffung von Versicherungsschutz mit dem Unionsrecht in Einklang stehen.

 

Rz. 12

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EuGH war für den BFH bei der Auslegung von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL zweifelhaft, ob der Begriff des Versicherungsumsatzes stets nur Leistungen gegenüber einem Versicherungsnehmer befreit oder ob nicht auch die Übertragung eines Bestands an Versicherungsverträgen als Leistung zwischen zwei Versicherungsunternehmen als Versicherungsumsatz steuerfrei sein kann. Er hatte vor diesem Hintergrund dem EuGH u. a. die Frage vorgelegt, ob die gegen einen vom Erwerber zu entrichtenden Kaufpreis erfolgende Übernahme eines Lebensrückversicherungsvertrags, auf dessen Grundlage der Erwerber des Vertrags die durch den bisherigen Versicherer ausgeübte steuerfreie Rückversicherungstätigkeit mit Zustimmung des Versicherungsnehmers übernimmt und nunmehr anstelle des bisherigen Versicherers steuerfreie Rückversicherungsleistungen gegenüber dem Versicherungsnehmer erbringt, als Rückversicherungsumsatz nach Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie[9] anzusehen ist.[10] Nach Auffassung des EuGH[11] stellt die Übertragung eines Versicherungsb...

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