Rz. 1

§ 3 UStG regelt die Definition der Lieferung und der sonstigen Leistung sowie in Teilen den Ort von Lieferungen. Oberbegriff im Umsatzsteuerrecht für Lieferungen und sonstige Leistungen ist der Begriff der "Leistung", der nicht näher im UStG definiert ist; vgl. dazu § 3 Rz. 14. Eine Lieferung oder eine sonstige Leistung ist notwendige Tatbestandsvoraussetzung für einen steuerbaren Umsatz nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG. Zur Umsetzung eines Teils dieser Voraussetzung wird in § 3 Abs. 1 UStG die "Lieferung" definiert.

 

Rz. 2

Voraussetzung für einen steuerbaren Umsatz nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist u. a., dass eine "Lieferung" ausgeführt sein muss. Ob eine Lieferung oder eine sonstige Leistung ausgeführt wird, ist für viele Folgeentscheidungen des Umsatzsteuerrecht von Bedeutung: Es ergeben sich in Abhängigkeit von dieser Einordnung andere Orte der Leistung, es liegen andere Voraussetzungen für die Anwendung der Steuerbefreiungsnormen vor, es können sich Auswirkungen auf den Steuersatz ergeben (z. B. bei der Abgrenzung von Restaurationsdienstleistungen von der Lieferung verzehrfertiger Speisen; § 3 Abs. 9 Rz. 104ff.) und schließlich können sich auch in Abhängigkeit der jeweiligen Einordnung Unterschiede bei der Steuerschuldnerschaft und des Steuerentstehungszeitpunkts ergeben.

 

Rz. 3

§ 3 Abs. 1 UStG definiert den Tatbestand der Lieferung. Dafür werden zwei wesentliche Voraussetzungen für den umsatzsteuerrechtlichen Lieferungsbegriff vorgegeben:

  • Es muss ein "Gegenstand" vorliegen
  • und der leistende Unternehmer muss einen anderen befähigen, über diesen Gegenstand im eigenen Namen zu verfügen ("Verschaffung der Verfügungsmacht").

Die Verschaffung der Verfügungsmacht muss dabei nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht unmittelbar zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger erfolgen. Es kann auch – sowohl auf der Seite des leistenden Unternehmers als auch auf der Seite des Leistungsempfängers – ein beauftragter Dritter zwischengeschaltet sein.

 

Rz. 4

Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 UStG: "Lieferungen eines Unternehmers sind Leistungen, …" stellt klar, dass Lieferungen unter den Oberbegriff "Leistungen" fallen. Die Annahme einer Lieferung setzt deshalb nicht nur voraus, dass dem Abnehmer Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft wird. Es müssen vielmehr darüber hinaus auch sämtliche Merkmale einer Leistung vorliegen. Dazu gehört z. B., dass die Lieferung auf einem Willensentschluss der Beteiligten beruht (sog. Lieferwille). Des Weiteren muss der Unternehmer mit der Lieferung ein eigenes wirtschaftliches Ziel verfolgen, weil die USt nur Leistungen im wirtschaftlichen Sinn erfasst.

 
Praxis-Beispiel

Die Hingabe von Geld zur Entrichtung des Kaufpreises ist keine Lieferung im wirtschaftlichen Sinn und unterliegt deshalb nicht der USt, obwohl auch hier Verfügungsmacht an einem Gegenstand (dem Geld) verschafft wird.[1]

Für die Annahme einer Lieferung bedarf es stets auch zweier Beteiligter: einem, der die Lieferung bewirkt, und einem, der die Lieferung empfängt. Hierbei muss es sich um zwei umsatzsteuerlich selbstständige Rechtssubjekte handeln. Vorgänge innerhalb desselben Unternehmens, z. B. zwischen zwei Betrieben desselben Unternehmers oder innerhalb eines Organkreises zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft (sog. Innenumsätze), führen nicht zu einer Lieferung. In Einzelfällen kann es aber – dann jedoch nur über eine Sonderregelung wie dem § 3 Abs. 1b UStG – auch ohne zwei Beteiligte zu einer (fiktiv angeordneten) Lieferung kommen.

 

Rz. 5

Die Unternehmereigenschaft des Lieferers ist kein Merkmal des Lieferungsbegriffs. Auch Nichtunternehmer können liefern; ihre Lieferung ist allerdings nicht steuerbar, weil eine Voraussetzung der Steuerbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, die Unternehmereigenschaft des Lieferers, fehlt.

1.1 Entwicklung der Vorschrift

 

Rz. 6

Der Begriff "Lieferung" wurde schon im Gesetz über den Warenumsatzstempel v. 26.6.1916[1] verwendet. Er stammt aus dem (früheren) Handelsrecht, wo er jedoch eine ganz andere Bedeutung hatte (Verkauf einer vom Verkäufer erst noch zu beschaffenden Ware). Er ist ebenso wie andere im UStG verwendete Begriffe (z. B. sonstige Leistung, Unternehmer) ein dem Umsatzsteuerrecht eigentümlicher Begriff (sog. steuerrechtlicher Wirtschaftsbegriff), der einen von der sonstigen Gesetzessprache und auch vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Sinn erhalten hat[2], mit einem völlig eigenen und selbstständigen Inhalt, der nur nach dem Sinn und Zweck des Umsatzsteuerrechts ausgelegt werden darf.[3]

 

Rz. 7

Durch das UStG 1918[4] wurde der Besteuerungsgegenstand dann erstmals allgemein auf Lieferungen (auch auf Grundstückslieferungen) und sonstige Leistungen im gewerblichen Bereich erweitert. Nach dem UStG 1926[5] lag eine Lieferung vor, wenn der "Lieferer dem Abnehmer die Verfügung über eine Sache verschafft". Das UStG 1934[6] definierte dann schon im § 3 Abs. 1 UStG 1934 "Lieferungen sind Leistungen, durch die der Unt...

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