Rz. 15

Die unionsrechtsorientierte Abkehr des BFH von der bislang herrschenden Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG rief ab 2010 zunächst die Ministerialverwaltung von Bund und Ländern auf den Plan, die sich mehrmals mit den daraus ziehenden Konsequenzen befasste.[1] Sie hielt es zunächst für ausreichend, die Rechtsprechung des BFH nur verwaltungsseitig umzusetzen, was insbesondere bei den kommunalen Spitzenverbänden auf Kritik stieß. Sie drängten auf eine Lösung, die eine weitgehende Beibehaltung des steuerlichen status quo bei der interkommunalen Zusammenarbeit ermöglichen sollte. Das Ergebnis der weiteren Erörterungen war ein Vorschlag der Verwaltung für eine Anpassung des UStG an Unionsrecht und Rechtsprechung bei gleichzeitiger Konkretisierung des Begriffs der größeren Wettbewerbsverzerrung in einem neuen § 2b UStG[2] unter Rückgriff auf den vergaberechtlichen Ansatz von Englisch.[3] Der Vorschlag enthielt damit bereits die insbesondere bezüglich der interkommunalen Zusammenarbeit einschränkenden Besteuerungsvoraussetzungen, die auch im endgültigen Gesetz enthalten sind. Die Länderfinanzministerien führten dazu im Jahr 2014 eine öffentliche Anhörung durch, ein für eine Rechtsänderung, die in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegt, sehr ungewöhnlicher Vorgang. Die Finanzministerkonferenz der Länder machte sich schließlich am 23.10.2014 den Entwurf der Fachebene für einen neuen § 2b UStG zu eigen und bat den Bundesfinanzminister, zeitnah ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren zu initiieren und die einschlägige Rechtsprechung mit einer auf das Gesetzgebungsverfahren abgestimmten Übergangsfrist zu veröffentlichen.[4] Man dachte schon damals an einen bekömmlichen Zeitraum von etwa fünf Jahren. Der Bitte seiner Länderkollegen, eine Gesetzgebung zu initiieren, ist der Bundesfinanzminister im Ergebnis nicht nachgekommen; die Neuregelung fand erst ein Jahr später durch eine Beschlussempfehlung des BT-Finanzausschusses Eingang in das Gesetz (Rz. 17). Eine ihrerseits mögliche eigene Bundesratsinitiative dazu haben die Länder allerdings ebenfalls nicht ergriffen. Man mag dem entnehmen, wie schwer sich die Politik mit der Schaffung der Neuregelung getan hat.

 

Rz. 16

Das politische Unbehagen ließen bereits die Ausführungen im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode im Bund erahnen. Danach sollte die interkommunale Zusammenarbeit steuerlich nicht behindert werden, weshalb man eine umsatzsteuerliche Belastung kommunaler Beistandsleistungen ablehne und sich EU-rechtlich für eine umfassende Freistellung solcher Leistungen von der USt einsetze.[5] Gegen die Anwendung der BFH-Rechtsprechung, die das bereits geltende Unionsrecht lediglich klarstellt, konnten sich diese Erklärungen freilich nicht richten. Die Aussagen des Koalitionsvertrags bezogen sich damit vielmehr auf eine Änderung des Unionsrechts selbst, zumindest aber eine Abwehr von Verschärfungen der Besteuerungssituation der öffentlichen Hand durch entsprechende Änderungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, die der Bundesfinanzminister im Rat der Finanzminister per Veto durchsetzen könnte. Letzteres war bislang nicht nötig, da die Europäische Kommission bis heute keinen Vorschlag für einen Rechtssetzungsakt im Bereich Umsatzbesteuerung öffentlicher Einrichtungen vorgelegt hat (Rz. 22). Eigene Initiativen der Bundesregierung auf EU-Ebene zur Entschärfung des Art. 13 MwStSystRL sind allerdings ebenfalls nicht bekannt geworden.

 

Rz. 17

Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags griff schließlich den Entwurf der Länderfinanzminister für einen neuen § 2b UStG trotz der Widerstände gegen eine Anpassung des nationalen Rechts an das Unionsrecht auf.[6] Er übernahm ihn – mit geringfügigen Modifikationen – einen Tag vor der abschließenden Lesung in Art. 12 Nr. 1 bis 3 des Entwurfs eines "Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den ZK der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften"[7], das der Deutsche Bundestag dann vernünftigerweise in "Steueränderungsgesetz 2015" umbenannt hat.[8] Das Gesetz wurde am 24.9.2015 verabschiedet[9], der Bundesrat stimmte ihm am 16.10.2015 zu[10] und die Verkündung erfolgte am 2.11.2015.[11]

 

Rz. 17a

§ 2b Abs. 4 Nrn. 1 und 2 wurden mWv 18.12.2019 durch das "Jahresteuergesetz 2019"[12] mangels Anwendungsbereichs ersatzlos aufgehoben (Rz. 64).

[1] Zum Beratungsablauf im Einzelnen vgl. Baldauf, UR 2014, 549 (553 ff.) m. w. N.
[2] Baldauf, UR 2014, 549 (557).
[3] Englisch, UR 2013, 570.
[4] Küffner/Rust, DStR 2014, 2533 (2534); Widmann, UR 2016, 13.
[5] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, 91.
[6] Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) v. 23.9.2015, BT-Drs. 18/6094, 33.
[7] BT-Drs. 18/4902 v. 13.5.2015.
[8] 124. Sitzung v. 24.9.2015, PlPrtkl 18/124, 1268 D.
[9] BR-Drs. 418/15 v. 25.9.2015.
[10] 937. Sitzung v. 16.10.2015, PlPrtkl 937, 391 A.
[11] BGBl I 2015, 1834.
[12] Art. 11 Nr. 2 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förde...

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