Rz. 58

§ 29 UStG regelt lediglich, dass eine umsatzsteuerliche Mehr- oder Minderbelastung zu einem angemessenen Ausgleich führen soll. Eine nähere Definition des Begriffs "angemessen" ist im Gesetz nicht enthalten. Entsprechend dem Sinn und Zweck der Regelung und der Wettbewerbsneutralität der USt ist hier von einem vollen Ausgleich der jeweiligen umsatzsteuerlichen Mehr- oder Minderbelastung auszugehen.[1]  Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass die USt im Regelfall auf den Leistungsempfänger überwälzt wird, gerechtfertigt. Eine bestimmte Höhe der Belastung eines Vertragspartners ist nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 29 UStG. Damit führen auch unwesentliche Mehr- oder Minderbelastungen zu einem Anspruch nach § 29 UStG. Fraglich kann in diesen Fällen aber sein, ob es nicht dem wirtschaftlichen Sinn der Regelung entsprechen müsste, bei geringfügigen Veränderungen auch die Befolgungs- und Umsetzungskosten mit zu berücksichtigen. So sind insbesondere durch die temporäre Steuerabsenkung für Umsätze in der Zeit vom 1.7. bis 31.12.2020 viele Dauerleistungsverhältnisse betroffen, bei denen sich durch die Absenkung der Umsatzsteuersätze eine geringfügige Entlastung ergeben hat, die Änderung von schon vorausgezahlten Beträgen durch die dadurch anfallenden Verwaltungskosten aber mehr als kompensiert würde.

 

Rz. 59

Der Ausgleichsanspruch ist so genau wie möglich zu ermitteln. Der gesetzliche Verweis in § 29 UStG, dass in strittigen Fällen § 287 Abs. 1 ZPO zur Ermittlung heranzuziehen ist, verdeutlicht, dass hier alle, die umsatzsteuerliche Belastung beeinflussenden Parameter zur Beurteilung heranzuziehen sind. Damit sind nicht nur die sich auf der Leistungsausgangsseite ergebenden Änderungen bei Steuerbarkeit, Steuerpflicht oder Steuersatz zu berücksichtigen, sondern auch Auswirkungen, die sich dadurch auf der Leistungseingangsseite ergeben. Damit sind bei der Ermittlung des Ausgleichs auch Fragen der Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG oder der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG zu berücksichtigen, wobei gerade die finanziellen Auswirkungen, die sich durch eine Vorsteuerberichtigung ergeben, im Einzelfall kaum seriös abschätzbar sein werden.

[1] Vgl. auch die zu § 29 UStG 1967 ergangenen Urteile des BGH v. 22.3.1972, VIII ZR 119/70, NJW 1972, 874 sowie BGH v. 28.6.1973, VII ZR 3/71, NJW 1973, 1744; Abschn. 29.1 Abs. 3 UStAE.

4.2.1 Ausgleich bei Änderung des anzuwendenden Steuersatzes

 

Rz. 60

Die Ermittlung des Ausgleichs der Höhe nach ist bei einer Änderung des Steuersatzes[1] vergleichsweise einfach. Da sich in diesem Fall keine weiteren systematischen Änderungen ergeben, sind Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug nicht gegeben. Die Höhe des Ausgleichsanspruchs richtet sich damit nach der Höhe der Änderung des Steuersatzes.

[1] Durch Erhöhung oder Verringerung der Steuersätze nach § 12 UStG oder durch geänderte Zuordnung von Umsätzen zum ermäßigten Steuersatz.

4.2.2 Ausgleich bei Änderungen der Steuerbarkeit oder der Steuerpflicht

 

Rz. 61

Wird ein Umsatz aufgrund einer Änderung des Gesetzes steuerbar oder steuerpflichtig oder entfällt die Steuerbarkeit oder die Steuerpflicht, können sich dadurch auch Auswirkungen auf die Vorsteuerabzugsberechtigung des leistenden Unternehmers ergeben. Dadurch sind grundsätzlich die folgenden Auswirkungen denkbar:

  • Dem jetzt steuerpflichtigen Umsatz steht eine Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG oder ein Anspruch auf Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG gegenüber, der den Ausgleichsanspruch vermindert. So konnte z. B. die mWv 1.1.1992 aufgehobene Steuerbefreiung für die (langfristige) Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen nach § 4 Nr. 12 UStG a. F. zu einer Vorsteuerberichtigung bezüglich der Herstellungskosten des Gebäudes nach § 15a UStG führen, wenn der leistende Unternehmer sich noch im maßgeblichen Berichtigungszeitraum nach § 15a Abs. 1 UStG befand.
  • Ein jetzt nicht steuerbarer oder nicht steuerpflichtiger Umsatz kann zu einem Vorsteuerabzugsverbot nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 UStG führen. Der Anspruch des Leistungsempfängers auf Ausgleich durch Wegfall der USt auf die erbrachte Leistung reduziert sich um die Nachteile, die der leistende Unternehmer aus der Nichtabzugsfähigkeit von Vorsteuerabzugsbeträgen hat. Dies kann sich im Einzelfall nach der Einführung der Steuerbefreiung für Berufsbetreuer (§ 4 Nr. 16 UStG) oder von Ergänzungspflegern oder Vormündern (§ 4 Nr. 15 UStG) ab dem 1.7.2013 ergeben.
 

Rz. 62

Folgewirkungen können sich auch dann einstellen, wenn im Rahmen von Leistungsketten Änderungen in der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung bei einem der involvierten Unternehmer eintreten. Dies kann z. B. ab dem 1.7.2013 bei der Einführung der Steuerbefreiung für Berufsbetreuer (§ 4 Nr. 16 UStG) der Fall sein. Werden an einen Unternehmer, der auch Berufsbetreuungsleistungen ausführt, Räume vermietet, kann der Vermieter – soweit ein Neubau mit Baubeginn ab dem 11.11.1993 vorliegt[1] – nicht mehr auf die Steuerbefreiung der Vermietungsleistung verzichten (Option), wenn die Räume zu mehr als 5 %[2] für dann vorsteuerabzugsschädliche Ausgangsleistungen verwendet wer...

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