Rz. 82

§ 371 AO gewährt im Bereich des Steuerstrafrechts die Möglichkeit zur Erlangung der Straffreiheit bei einer beendeten Straftat durch die sog. strafbefreiende Selbstanzeige[1]; eine vergleichbare Regelung für Steuerordnungswidrigkeiten findet sich in § 378 Abs. 3 AO. Nach § 371 Abs. 1 AO wird nun derjenige nicht bestraft, der unrichtige oder unvollständige Angaben für die letzten zurückliegenden zehn Jahre gegenüber der Finanzbehörde[2] innerhalb einer Steuerart vollständig berichtigt und die daraus geschuldeten Steuerbeträge bezahlt (§ 371 Abs. 3 AO). Die Einzelheiten und Besonderheiten dieser Regelung sind allerdings – insbesondere nach den inhaltlichen Verschärfungen des § 371 AO zum 3.5.2011[3] und zum 1.1.2015[4] – sehr umfangreich.[5] § 371 AO ist daher immer mit Umsicht anzuwenden[6], sonst besteht die Gefahr der Unwirksamkeit einer Selbstanzeige.

 

Rz. 83

Bezogen auf § 26c UStG lässt allerdings bereits der Grundtatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 26a Abs. 1 UStG keine Möglichkeit einer solchen Selbstanzeige zu; nach dem Verstreichenlassen des Zahlungstermins ist die Ordnungswidrigkeit begangen[7]; § 378 Abs. 3 AO findet keine (analoge) Anwendung. Beim Vorliegen des Grundtatbestands und der weiteren Tatbestandsmerkmale des § 26c UStG ist gleichzeitig dieser Straftatbestand begangen. Da auch § 26c UStG vom Wortlaut her keine Selbstanzeigemöglichkeit vorsieht und auch keine Bezugnahme auf § 371 AO enthält, ist daraus m. E. zu schließen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Selbstanzeige bewusst nicht vorgesehen hat und deshalb keine analoge Anwendung in Frage kommt.[8] M.E. ist eine analoge Anwendung des § 371 AO hier in jedem Fall ausgeschlossen, dies schon deshalb, weil die Vorschrift des § 371 AO auch in anderen Fällen nicht analog anwendbar ist. Zudem hat der Gesetzgeber den § 371 AO bereits zweimal nach Einführung des § 26c UStG stark geändert und inhaltlich verschärft; hätte er eine Einbeziehung des § 26c UStG gewollt, dann wäre eine entsprechende Änderung möglich gewesen.[9] Allerdings ist zu fragen, ob der Ausschluss der Anwendung des § 371 AO nicht zu Wertungswidersprüchen im Steuerstrafrecht führt.

 
Praxis-Beispiel

A hat im Voranmeldungszeitraum 12/01 Leistungen i. H. v. brutto 238.000 EUR getätigt und entsprechende Rechnungen an andere Unternehmer ausgestellt. Davon gibt er 119.000 EUR in seiner fristgemäß eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung an; bezahlt wird die daraus geschuldete USt von 19.000 EUR allerdings nicht. Im Juli 02 erstattet er Selbstanzeige und zahlt nach Fristsetzung 38.000 EUR an das FA. Unterstellt man hier das Vorliegen der Gewerbsmäßigkeit beim Handeln des A, dann kann A wegen der wirksamen Selbstanzeige nicht nach § 370 AO bestraft werden, die Strafbarkeit nach § 26c UStG bleibt aber unabhängig davon bestehen, dass der Steuerschaden vollständig beseitigt worden ist.

Alternative: A zahlt (nach Fristsetzung) nur 19.000 EUR an das FA.

 

Rz. 84

Auch wenn das hier eintretende Ergebnis der bestehen bleibenden Strafbarkeit nach § 26c UStG bei einer wirksamen Selbstanzeige innerhalb einer Steuerart und eines Besteuerungszeitraums auf einen ersten Blick befremdend erscheinen mag, so ist es m. E. im Ergebnis dennoch richtig. Die Selbstanzeige nach § 371 AO findet zwar selbst bei schweren und betragsmäßig gewichtigen Steuerstraftaten nach § 370 Abs. 3 AO Anwendung. Zu berücksichtigen ist aber der Gesetzeszweck des § 26c UStG, der ausweislich der Gesetzesbegründung darin besteht[10], "….die gewerbsmäßig oder bandenmäßig begangene Tathandlung i. S. von § 26b unter Strafe zu stellen, um damit eine Regelungslücke für die Fälle zu schließen, in denen eine Bestrafung nach § 370 AO mangels Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale nicht möglich ist. …. Die Schaffung des Straftatbestandes ist angesichts des zunehmend festgestellten Umsatzsteuerkarussellbetrugs notwendig. Von den Tätern wird das Mehrwertsteuersystem gezielt missbraucht."

 

Rz. 85

Selbst wenn man hier annehmen sollte, dass die Frage nach der Anwendbarkeit des § 371 AO bei Schaffung des § 26c UStG schlicht übersehen wurde, ändert sich dadurch nichts daran, dass der in der Gesetzesbegründung genannte Gesetzesverstoß unabhängig vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung und einer wirksamen Selbstanzeige bestehen bleibt. Verdeutlichen lässt sich dies an der im oben genannten Beispiel aufgezeigten Fallalternative. Wenn A nur die 19.000 EUR hinterzogene Steuer zahlt, dann würde er ohne § 26c UStG hinsichtlich der weiteren angemeldeten, aber nicht gezahlten 19.000 EUR straffrei (bzw. sanktionsfrei) bleiben, weil diese Steuer nicht i. S. v. § 370 AO hinterzogen wurde. Mit §§ 26a Abs. 1, 26c UStG kann A aber auch wegen dieser nicht gezahlten Steuer zur Verantwortung gezogen werden; eine nachträgliche Bezahlung dürfte dann allenfalls im Rahmen der Strafzumessung von Bedeutung sein.

 

Rz. 86

Mangels der praktischen Relevanz des § 26c UStG (Rz. 11f.) mag die geschilderte Problematik bisher selten zum Tragen gekommen sein, theoretis...

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