Rz. 15

Bei der Beurteilung umsatzsteuerrechtlicher Sachverhalte kommt dem Unionsrecht (seit dem 1.1.2007 umgesetzt durch die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie[1]) entscheidende Bedeutung zu. Der Unternehmer kann sich in jedem Mitgliedstaat vor den nationalen Behörden und Gerichten auf für ihn günstige Vorschriften des Unionsrechts berufen[2], soweit die unionsrechtliche Regelung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist.[3] Eine unionsrechtliche Bestimmung ist dann unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist noch zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit einer Maßnahme der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf.[4]

Die unionsrechtliche Bedingung ist hinreichend genau, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt[5] und den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung nicht einen gewissen Ermessensspielraum einräumt.

Das nationale Umsatzsteuerrecht ist dabei richtlinienkonform auszulegen. Soweit eine Auslegung nach dieser vorrangigen Auslegungsmethode nicht mehr möglich ist, haben unionsrechtliche Vorschriften in den erlassenen Richtlinien den Anwendungsvorrang vor damit unvereinbaren nationalen Vorschriften. Darüber hinaus ist zum 1.7.2011 die Durchführungsverordnung zur MwStSystRL (MwStVO)[6] in Kraft getreten, die als unionsrechtliche Verordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden ist. Für die Umsetzung des Unternehmerbegriffs ergeben sich durch diese Verordnung aber keine relevanten Veränderungen, lediglich durch Art. 5 MwStVO wird ergänzend zu Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL klargestellt, dass auch Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen[7] Steuerpflichtige i. S. der Rechtsvorschrift sein können, wenn sie gegen Entgelt Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen an ihre Mitglieder bewirken.[8]

 

Rz. 16

Im Unionsrecht wird der Begriff des Unternehmers nicht verwendet; Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL[9] spricht in diesem Zusammenhang vom Steuerpflichtigen, wobei die Bezeichnung als solche weniger von Bedeutung ist als die inhaltliche Umsetzung derselben.

 

Rz. 17

Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL bestimmt, wer Steuerpflichtiger nach dieser Regelung ist. Dabei wird vorrangig darauf abgestellt, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausgeführt wird. Unerheblich ist danach der Ort der Tätigkeit, zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis diese Tätigkeit bewirkt wird. Dabei wird nach Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL auf die Tätigkeit des Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden sowie auf die Tätigkeiten des Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der gleichgestellten Berufe Bezug genommen. Als eine wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst (Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL).

 

Rz. 18

In Art. 9 Abs. 2 MwStSystRL ist seit dem 1.1.2007 die bis zum 31.12.2006 in Art. 28a Abs. 4 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie enthaltene Regelung aufgenommen worden, dass auch bei der gelegentlichen Lieferung eines neuen Fahrzeugs aus dem Gebiet eines Mitgliedstaats in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats der Lieferer als Steuerpflichtiger gilt (in Deutschland umgesetzt in § 2a UStG).

 

Rz. 19

Die Voraussetzung der selbstständigen Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. d. Art. 9 MwStSystRL schließt nach Art. 10 MwStSystRL die Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstigen Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an einen Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder durch ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft. Diese Regelung – wenn auch sprachlich anders gefasst – entspricht von dem Regelungsgehalt im Wesentlichen der negativen Abgrenzung der Selbstständigkeit nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Darüber hinaus wird in Art. 11 MwStSystRL, ausgestattet als europäische Kannbestimmung, die innerstaatliche Organschaft – nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer – zugelassen. Deutschland hat mWv 1.1.1987 durch Anpassung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG (Ergänzung um die S. 2 bis 4) nach Konsultation von dieser einschränkenden Regelung Gebrauch gemacht. Allerdings entspricht die nationale Umsetzung nach der Rechtsprechung des EuGH[10] nicht den unionsrechtlichen Vorgaben, sodass der BFH[11] erste Änderungen vorgenommen hat, die von der FinVerw zum 1.1.2019[12] umgesetzt wurden. Durch die weitere Rechtsprechung des EuGH[13] werden sich aber national weitere – erhebliche – Änderungen für Organschaftsverhältnisse ergeben müssen, vgl. dazu Rz. 193a ff. und Rz. 217a ff.

 

Rz. 20

Art. 12 MwStSystRL – ebenfalls ausgestaltet als Kannbestimmung – ermächtigt die Mitgliedstaaten, auch solche Personen als Steuerpflichtige zu behandeln, die nur gelegentlich eine der in Art 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL aufgeführten Tätigkeiten ausführen und insbesondere Gebäude oder Gebäudeteil...

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