Rz. 400

Der Vorsteuerabzug allgemein und das Abzugsverbot nach § 15 Abs. 2 und 3 UStG im Besonderen bereiten in der Praxis keine Schwierigkeiten, wenn ein Unternehmer entweder nur Umsätze tätigt, die voll zum Abzug berechtigen, oder nur solche, die zur Versagung des Vorsteuerabzugs führen. Werden jedoch in einem Unternehmen sowohl Umsätze getätigt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, als auch solche, bei denen der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist, ergeben sich regelmäßig deshalb praktische Probleme, weil der Vorsteuerabzug zwar grundsätzlich unabhängig von eigenen späteren Umsätzen anhand der Eingangsrechnungen sofort vorgenommen werden kann (Sofortabzug, Rz. 118ff.), gleichzeitig aber auch insoweit unterbleiben muss, als Vorsteuerbeträge teilweise den Umsätzen zuzuordnen sind, die vom Abzug gem. § 15 Abs. 2 und 3 UStG ausgeschlossen sind. Die Fälle mit teilweiser Berechtigung zum Vorsteuerabzug werden als Mischfälle bezeichnet. Leider ist hier, nicht zuletzt durch die wechselnde Rspr. des BFH in den letzten Jahren eine erhebliche Verunsicherung der Praxis eingetreten.[1]

 

Rz. 400a

In dem Vorlagebeschluss BFH v. 5.6.2014[2] an den EuGH hat der XI. Senat des BFH zu erkennen gegeben, dass er die Auffassung des V. Senats im Urteil v. 7.5.2014 zur Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gebäuden nicht uneingeschränkt teilt.[3]

 

Rz. 400b

Der EuGH hat in seinem zu dem Vorlagebeschluss vom 5.6.2014 ergangenen Urteil vom 9.6.2016[4] entschieden, dass bei Grundstücken sowohl ein Umsatz- als auch ein Flächenschlüsssel unionsrechtlich bei der Vorsteueraufteilung in Betracht kommen. Entscheidend ist, welcher Schlüssel die präziseren Ergebnisse liefert. Der BFH hat sich in seinem Folgeurteil vom 10.8.2016[5] im Hinblick auf die Gegebenheiten seines Falles für den objektbezogenen Flächenschlüssel entschieden, weil dieser regelmäßig eine sachgerechte und präzisere Vorsteueraufteilung gewährleiste als der gesamtumsatzbezogene oder objektbezogene Umsatzschlüssel.

 

Rz. 400c

Das Problem lässt sich mangels eindeutiger Vorgaben in der MwStSystRL mithin abstrakt nicht eindeutig lösen, denn die Entscheidung, ob bei Grundstücken der Umsatzschlüssel oder der Flächenschlüssel zu präziseren Ergebnissen führt, ist letztlich nicht belegbar. Der EuGH hatte bereits in dem Urteil v. 8.11.2012[6] den Mitgliedstaaten freigestellt, welchen Schlüssel sie anordnen. Er muss nur präzise Ergebnisse ermöglichen. Damit war die Regelung in § 15 Abs. 4 S. 3 UStG (Rz. 402) v. EuGH unionsrechtlich nicht zu beanstanden (Rz. 412).

 

Rz. 400d

Der EuGH selbst scheint in den zu ihm gelangenden Fällen eher eine Präferenz für den Umsatzschlüssel zu haben.[7] Im Urteil vom 18.10.2018[8] hielt er daher die Aufteilung der Vorsteuern aus den Gemeinkosten bei einer Leasinggesellschaft, die sowohl steuerfreie Kreditumsätze als auch steuerpflichtige Fahrzeuglieferungen ausführt, nach dem Umsatzschlüssel für angebracht, wobei bei den steuerpflichtigen Umsätzen zu den Kosten auch die Anfangswerte der Fahrzeuge bei der Bereitstellung zu berücksichtigen sind. Das hatte er in einem ähnlichen Fall im Urteil vom 10.7.2014[9] noch anders gesehen.[10]

 

Rz. 400e

Im Urteil v. 11.11.2020[11] hat der BFH unter Bestätigung der Grundsätze aus den Urteilen v. 10.8.2016[12] und v. 17.3.2019[13] entschieden, dass bei einem gemischt genutzten Gebäude, bei dem erhebliche Ausstattungsunterschiede der verschiedenen Zwecken dienenden Räume bestehen, ein objektbezogener Umsatzschlüsssel anzuwenden ist.

 

Rz. 401

Bei der damit erforderlich werdenden Aufteilung der Vorsteuern scheiden allerdings Vorsteuerbeträge aus, welche nach den allgemeinen Voraussetzungen des § 15 UStG nicht abgezogen werden dürfen, z. B. weil es an der Zuordnungsmöglichkeit zum Unternehmen gem. § 15 Abs. 1 UStG fehlt (Rz. 94ff.) oder keine ordnungsmäßige Rechnung vorliegt. Ebenso sind die nicht abzugsfähigen Beträge, die auf einer zu hohen Steuerberechnung beruhen, nicht zu berücksichtigen (Rz. 160ff.). Das absolute Abzugsverbot für auf Reisevorleistungen ruhenden Vorsteuern gem. § 25 Abs. 4 UStG führt ebenso wie der Vorsteuerausschluss gem. § 15 Abs. 1a UStG (Rz. 337ff.) und § 15 Abs. 1b UStG (Rz. 350) dazu, dass diese Vorsteuern auch bei der Aufteilung der Vorsteuern außer Betracht bleiben müssen.

 

Rz. 401a

Der BFH wendet § 15 Abs. 4 UStG im Wege der Analogie auch auf die Fälle an, in denen der Vorbezug sowohl für die unternehmerischen als auch für die nichtunternehmerischen Zwecke eines Unternehmers stattfindet. Im Fall einer Holding, die auch Vorbezüge für ihre nichtwirtschaftliche Ausgangsleistungen hatte, nahm der BFH im Urteil v. 9.2.2012[14] den Vorsteuerabzug entsprechend § 15 Abs. 4 UStG nach einer wirtschaftlichen Zurechnung vor, denn das UStG hat dazu keine ausdrückliche Regelung vorgesehen. Insofern ist es sachgerecht, diese Gesetzeslücke durch analoge Anwendung einer in § 15 UStG angebotenen Norm zu schließen. Der EuGH hat bereits im Urteil v. 13.3.2008[15] dazu den Weg gewiesen, indem er den Mitgliedstaaten bei der Reg...

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