Rz. 358

§ 15 Abs. 2 UStG ordnet den Ausschluss des Vorsteuerabzugs an in Nr. 1 bei steuerfreien Umsätzen und in Nr. 2 bei Umsätzen im Ausland, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden. Diese Einschränkung der Neutralität der MwSt im Unternehmerbereich war bereits in der 2. EG-MwSt-Richtlinie v. 11.4.1967 systemkennzeichnend enthalten. Durch dieses Abzugsverbot wird in der Unternehmerkette eine Belastung erreicht, die dem Gedanken der MwSt eigentlich widerspricht, denn die steuerfreien Umsätze kommen dadurch zwar beim Leistungsempfänger ohne sichtbare Belastung an, sie sind aber wegen des Vorsteuerabzugsverbots auf der Vorstufe indirekt belastet. Für diese steuerfreien Umsätze hat sich die Bezeichnung "unechte Steuerbefreiungen" durchgesetzt. § 15 Abs. 3 UStG regelt die Rückausnahmen zu dieser Systementscheidung, die zu "echten" Steuerbefreiungen führt, bei denen jegliche Vorbelastung neutralisiert wird.[1]

 

Rz. 359

Schon das BFH-Urteil v. 4.2.1971[2] machte dazu grundlegende systematische Ausführungen. Man mag diese Konzeption des EU-Richtliniengebers kritisieren.[3] Sie ist gewiss fiskalisch motiviert; für den deutschen Gesetzgeber ist sie dennoch absolut verbindlich. Paul Kirchhof schlägt in seinem Entwurf eines Umsatzsteuergesetzbuchs[4] innerhalb seines Bundesteuergesetzbuchs[5] nur Steuerbefreiungen vor, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Eine Steuerbefreiung, die mit der Versagung des Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 2 UStG verbunden ist, ist danach nur dann vorteilhaft, wenn sie auf der Letztverbraucherstufe eintritt. Sie wirkt sich wettbewerbsschädigend aus, wenn sie wie beim sog. Blindenprivileg nach § 4 Nr. 19 Buchst. a UStG an persönliche Merkmale des Unternehmers oder spezifische Merkmale des Unternehmens geknüpft ist. Dem hilft aber § 9 UStG ab, wonach auf bestimmte Steuerbefreiungen verzichtet werden kann, wenn die Umsätze an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden.

 

Rz. 360

Die Regelungen über den Ausschluss des Vorsteuerabzugs müssen aus systematischen Gründen für die EUSt und die Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb in gleicher Weise gelten wie für die sonstigen Vorsteuern. Deshalb wurden § 15 Abs. 2 und Abs. 4 UStG zum 1.1.1993 um den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen ergänzt. Erst und nur durch die (ggf. nur teilweise) Nichtabziehbarkeit der Erwerbssteuer tritt die Belastungswirkung ein, denn insoweit entsteht eine Zahllast, die dem Fiskus zugutekommt. Beim sonstigen Vorsteuerabzug hat der Fiskus die Steuer hingegen bereits regelmäßig vom Leistenden erhalten.

 
Praxis-Beispiel

Bauunternehmer B im Inland lässt sich aus Frankreich steuerfrei Baumaterial in das Inland liefern. Er verwendet dieses Baumaterial zu 50 % für die steuerpflichtige Errichtung von Bauten für Dritte, zu 50 % verwendet er das Material zum Bau eines eigenen Mietshauses, das er steuerfrei vermietet. Die gem. § 1a Abs. 1 UStG anfallende Erwerbssteuer auf das Baumaterial kann B gem. § 15 Abs. 4 UStG nur zu 50 % abziehen, denn für die steuerfreien Vermietungsumsätze ist der Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen.

 

Rz. 361

Eine vergleichbare Ergänzung der Abs. 2 und 4 des § 15 UStG wurde bei Schaffung von § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG zum 1.1.2002 – Abzug der vom Leistungsempfänger gem. § 13b UStG anstelle des Leistenden geschuldeten Steuer (Rz. 291ff.) nicht vorgenommen. Daraus kann man aber nicht schließen, die vom Leistungsempfänger gem. § 13b UStG geschuldete Steuer sei stets in voller Höhe als Vorsteuer abziehbar, denn auch wenn der unternehmerische Leistungsempfänger anstelle des leistenden Unternehmers Steuerschuldner für die bezogene Leistung gem. § 13b UStG wird, bleibt es doch dabei, dass es sich um die Leistungen eines anderen Unternehmers handelt. Die Steuerschuldverlagerung gem. § 13b UStG auf den Leistungsempfänger führt also, anders als der innergemeinschaftliche Erwerb, nicht zu einem eigenen Umsatz des Leistungsempfängers, für den die Regelungen über die Vorsteuerabzugsverbote ergänzt werden mussten. Vielmehr gelten diese Vorschriften für die gem. § 13b UStG geschuldete Steuer wie für andere Vorsteuern auch.

 

Rz. 362

§ 9 UStG lässt den Verzicht für folgende gegenüber Unternehmern für deren Unternehmen erbrachten steuerfreien Umsätze zu:

§ 4 Nr. 8 Buchst. a bis g UStG: bestimmte Geld-, Kredit- und Wertpapierumsätze;

§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG: Umsätze, die unter das GrEStG fallen;

§ 4 Nr. 12 UStG: Bestimmte Vermietungs- und Verpachtungsumsätze u. Ä.;

§ 4 Nr. 13 UStG: Bestimmte Umsätze von Wohnungseigentümergemeinschaften;

§ 4 Nr. 19 UStG: Umsätze von Blinden und von Blindenwerkstätten.

Durch das Behandeln dieser Umsätze als steuerpflichtig wird die Sperrwirkung des § 15 Abs. 2 UStG aufgehoben.

 

Rz. 363

Der steuerbefreite Unternehmer kann sich für die Versteuerung der genannten Umsätze allerdings nur entscheiden, soweit er an andere Unternehmer für deren Unternehmen liefert oder sonstige Leistungen erbringt. Die Formulierung der Vorschrift ähnelt...

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