Rz. 769

Von den Positionen 9701, 9702 00 00 und 9703 00 00 des Zolltarifs werden grundsätzlich lediglich Originalerzeugnisse erfasst, die – mit Ausnahme von Collagen und ähnlich dekorativen Bildwerken – in bestimmten überkommenen Techniken (Malerei, Zeichnen, Drucken mit handgearbeiteten Platten oder Bildhauerei) gestaltet worden sind. Demgegenüber sind insbesondere zeitgenössische Kunstgegenstände, die wegen der andersartigen angewandten Technik oder der eingesetzten Ausdrucksmittel (z. B. Industrie- oder Abfallprodukte zu neuen Formzusammenhängen gestaltet) den oben bezeichneten Positionen des Zolltarifs nicht zugeordnet werden können, nach stofflicher Beschaffenheit zu tarifieren (z. B. Erzeugnisse aus Textilien, Glas, Kunststoff, Leder). Dies bedeutet allerdings nicht, dass sämtliche zeitgenössischen Kunstgegenstände dem allgemeinen Steuersatz zu unterwerfen wären (Rz. 771ff.).

Nach stofflicher Beschaffenheit sind grundsätzlich auch Gegenstände zu tarifieren, die einen eigenen Gebrauchswert aufweisen, z. B. Gitter, Türgriffe, Türverkleidungen, Leuchter, Tabernakel, Ambo, Taufsteindeckel, Sitze, Kredenz, Schmuck, Vasen, Trinkgefäße.[1] Hierbei handelt es sich um sog. Gegenstände der "angewandten Kunst", die auch als "Gebrauchsplastiken" bezeichnet werden. Zunächst hatte die Verwaltung die Auffassung vertreten, dass die Frage, ob es sich eventuell um Originale von hoher künstlerischer Qualität handelt, zolltariflich keine Rolle spiele.[2]

 

Rz. 770

Allerdings werden die Grundsätze zur Beurteilung der angewandten Kunst durch die BFH-Rechtsprechung[3] eingeschränkt. Danach wird die zolltarifliche Einstufung einer bildhauerischen Arbeit als "Originalerzeugnis der Bildhauerkunst" nicht dadurch infrage gestellt, dass sie ungeachtet ihrer künstlerischen Schöpfung letztlich einem praktischen Zweck zugeführt wird (z. B. bei Brunnen, Lesepulten für Kirchen, Ausschmückung von Kirchenportalen). Deshalb beurteilt auch die Verwaltung nunmehr künstlerische Bildhauerarbeiten wie Kirchenportale oder Brunnenplastiken als begünstigte Erzeugnisse, wenn ihr künstlerischer Eindruck vorherrschend ist und das Erscheinungsbild prägt.[4]

Grundsätzlich beharrt die Verwaltung allerdings darauf, dass Gegenstände mit Gebrauchswert nach stofflicher Beschaffenheit einzureihen sind und somit regelmäßig dem allgemeinen Steuersatz unterliegen.[5] Eine Einreihung in die begünstigte Position 9703 des Zolltarifs (ab 19.12.2006: Position 9703 00 00 des Zolltarifs) sei zwar nicht ausgeschlossen, setze aber einen hohen künstlerischen Anspruch voraus, der den Gebrauchswert in den Hintergrund treten lasse. Hierbei kommt es weder auf die künstlerische Wertung des Gesamtwerks eines Künstlers an noch darauf, ob die Tätigkeit eines Künstlers ertragsteuerrechtlich als künstlerische Tätigkeit i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG anerkannt ist oder nicht. Vielmehr ist für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung die Beschaffenheit jedes einzelnen Gegenstands maßgebend. Maßgebend für die zolltarifliche Einreihung ist das äußere Erscheinungsbild des betreffenden Gegenstands. Ist der künstlerische Eindruck prägend und tritt der Gebrauchswert eines Gegenstands dahinter zurück, handelt es sich um einen begünstigten Kunstgegenstand. Es muss sich anhand objektiver Merkmale erkennen lassen, dass eine persönliche Schöpfung vorliegt, mit der der Künstler einem ästhetischen Ideal Ausdruck verleiht.[6] Dagegen fallen künstlerische Erzeugnisse mit dem vorherrschenden Charakter von Gebrauchsgegenständen, deren Funktionalität durch eine künstlerische Gestaltung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird, nicht unter Position 9703 00 00 des Zolltarifs. Erzeugnisse – auch wenn sie vom Künstler handgefertigt sind – gelten immer dann als nicht begünstigte Handelswaren i. S. d. Anmerkung 3 zu Kapitel 97 des Zolltarifs, wenn sie nach der äußeren Gestaltung vergleichbaren industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnissen ähneln und mit diesen zumindest in einer potentiellen wirtschaftlichen Wettbewerbssituation stehen. Dies gilt selbst für Gegenstände, die von bekannten Künstlern in begrenzter Stückzahl vollständig mit der Hand hergestellt und signiert und von Liebhabern gesammelt und in Messen ausgestellt werden.[7]

In Zweifelsfällen ist die Verwaltung angewiesen, den den ermäßigten Steuersatz begehrenden Unternehmer aufzufordern, beim zuständigen Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung eine unverbindliche Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke (Rz. 105ff.) einholen. Nur wenn darin eine Einreihung in Position 9703 00 00 des Zolltarifs vorgenommen werde, soll der ermäßigte Steuersatz angewendet werden.[8] Dieses Verfahren soll auch für Bildhauerarbeiten gelten, die als "Kunst am Bau" Verwendung finden.[9]

 

Rz. 771

Die vorstehenden Abgrenzungsgrundsätze erfahren insbesondere hinsichtlich der Beurteilung zeitgenössischer Kunstgegenstände eine gewisse Einschränkung durch die EuGH-Rechtsprechung.[10] In seinem Urteil v. 15.5.1985 (a. a. O.) hat der EuGH...

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