Rz. 85

Bei der Anknüpfung an den Zolltarif in der Anlage 2 des UStG handelt es sich um eine sog. gleitende (oder dynamische) Verweisung, d. h., maßgebend ist nicht der Zolltarif in der bei Einführung der MwSt geltenden Fassung, sondern die jeweils geltende Fassung des Zolltarifs. Das bedeutet, dass Änderungen des Zolltarifs automatisch den Umfang der Steuerermäßigung beeinflussen können. Der Kreis der steuerbegünstigten Gegenstände kann durch Zolltarifänderungen sowohl erweitert als auch eingeengt werden.[1] So waren beispielsweise sog. Elektroscooter (elektrisch betriebene Rollstühle) bis zum 31.12.2001 der Position 8713 des Zolltarifs zuzuordnen und damit als Rollstühle nach Nr. 51 der damaligen Anlage des UStG begünstigt.[2] Zum 1.1.2002 ist die Tarifauffassung durch das Tarifavis Nr. 1 der Weltzollorganisation (Rz. 80) zur Unterposition 8703 10 dahin gehend geändert worden, dass Elektroscooter ab diesem Zeitpunkt der – nicht begünstigten – Unterposition 8703 10 des Zolltarifs zuzuordnen sind. Hierdurch kann auf die Lieferungen von Elektroscootern ab dem 1.1.2002 der ermäßigte Steuersatz nicht mehr angewendet werden (Rz. 728).

 

Rz. 86

Die Verwaltung unterrichtet die FÄ und die Unternehmer regelmäßig durch Verwaltungsanweisungen (insbesondere BMF-Schreiben), wenn sich aufgrund von Zolltarifänderungen Auswirkungen auf die Abgrenzung der begünstigten von den nicht begünstigten Gegenständen ergeben. So sind beispielsweise genießbare getrocknete Schweineohren (ein Schlachtnebenerzeugnis) durch die Verordnung (EG) Nr. 1125/2006 der Kommission v. 21.7.2006[3] in die Unterposition 0210 99 49 des Zolltarifs eingereiht worden und fallen damit – im Gegensatz zu getrockneten Schweineohren, die nicht für den menschlichen Verzehr geeignet sind – unter Nr. 2 der Anlage 2 des UStG. Das hierzu ergangene BMF-Schreiben[4] "Steuersatz für Umsätze mit getrockneten Schweineohren" hat nicht nur in der Steuerfachpresse, sondern auch in der allgemeinen Presse (z. B. im "Spiegel") spöttische Kommentare ausgelöst und fand sogar Eingang in die Berichterstattung des Fernsehens über den Kongress des Deutschen Steuerberaterverbands als wohlfeiler Beitrag über die angebliche Regelungswut der Verwaltung. Sicherlich reizt der Titel des BMF-Schreibens zu hämischen Bemerkungen über die Steuerbürokratie. Andererseits müsste man bei einem Verzicht auf die Herausgabe dieses BMF-Schreibens die Frage stellen, was die Medien sagen würden, wenn die FÄ die Fragen der Unternehmer, die mit getrockneten Schweineohren handeln, nicht korrekt beantworten könnten. Die Information der FÄ und der Unternehmer über eine EG-Verordnung, welche die bisherige Rechtslage in Deutschland – und sei es lediglich bezüglich des Steuersatzes für getrocknete Schweineohren – ändert, ist unverzichtbar. Andernfalls drohen der Verwaltung Amtshaftungsklagen.

 

Rz. 87

Es ist sichergestellt, dass der Umfang der Steuerermäßigung grundsätzlich entsprechend der vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung unabhängig von späteren Änderungen des Zolltarifs erhalten bleibt, ohne dass es eines korrigierenden gesetzgeberischen Eingriffs bedarf. Um dies zu gewährleisten und damit zu vermeiden, dass etwaige Änderungen des Zolltarifs auf das materielle Umsatzsteuerrecht eine nur durch den Gesetzgeber zu beseitigende Auswirkung haben, ist dem BMF durch § 26 Abs. 2 UStG die Ermächtigung erteilt worden, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung den Wortlaut derjenigen Vorschriften des Gesetzes, in denen auf den Zolltarif hingewiesen wird, dem Wortlaut des Zolltarifs in der jeweils geltenden Fassung anzupassen. Die Vorschrift bestimmt zwar, dass das BMF die Vorschriften dem geänderten Zolltarif anpassen "kann". Das bedeutet jedoch nicht, dass das BMF nach seinem Belieben entscheiden kann, ob es eine Anpassung vornimmt oder es bei der Änderung belässt. Vielmehr ist es grundsätzlich gehalten, die Anpassung vorzunehmen. Eine Ausnahme kann z. B. dann gelten, wenn die Zolltarifänderung aus umsatzsteuerlicher Sicht nur unwesentlich ist oder sich wirtschaftlich nicht auswirkt (z. B. weil die Ware nur in der Unternehmerkette umgesetzt wird) oder wenn sie auf geänderten tatsächlichen Verhältnissen oder geänderten Verkehrsanschauungen beruht, die bei der USt ebenso wie beim Zolltarif zu berücksichtigen sind (z. B. klarstellende oder neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragende Zolltarifänderungen). Durch das für den Regelfall geltende Anpassungsgebot ist gewährleistet, dass der materielle Umfang der Steuerermäßigung bei etwaigen Änderungen des Zolltarifs im Wesentlichen erhalten bleibt.

 

Rz. 88

Das BMF hat von der Ermächtigung des § 26 Abs. 2 UStG bereits mehrfach Gebrauch gemacht. Die umfassendste Anpassung der damaligen Anlage des UStG an den Zolltarif erfolgte durch Art. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Änderung des UStG und der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung v. 7.3.1988.[5] Durch diese Verordnung ist die damalige Anlage des UStG rückwirkend zum 1.1.1988 an den neuen Gemeinsamen Zolltarif (

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