Rz. 9

Aus dem Grundgedanken, der der Steuerermäßigung bei der Einführung des MwSt-Systems in Deutschland zum 1.1.1968 zugrunde lag, ergab sich, dass der ermäßigte Steuersatz immer nur im Hinblick auf ein begünstigungswürdiges Interesse des privaten Letztverbrauchers gerechtfertigt war. Die Frage, welche Bereiche des Allgemeinbedarfs im Interesse des privaten Verbrauchers als begünstigungswürdig anzusehen sind, war jedoch im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der MwSt in Deutschland wie kaum eine andere Frage umstritten. Schließlich hat sich der Gesetzgeber für die folgenden Bereiche entschieden:

  1. aus vorwiegend sozialpolitischen Gründen (teils vermischt mit gesundheits- und verkehrspolitischen Gründen) für

    • alle Lebensmittel, ausgenommen Getränke (Anlage 2 des UStG),
    • Krankenfahrstühle und orthopädische Hilfsmittel (Anlage 2 des UStG),
    • Schwimmbäder und Heilbäder[1]
    • Personennahverkehr[2];
  2. aus vorwiegend kultur- und bildungspolitischen Gründen für

    • Waren des Buchhandels und Erzeugnisse des graphischen Gewerbes (Anlage 2 des UStG),
    • Kunstgegenstände und Sammlungsstücke (Anlage 2 des UStG),
    • Theater, Film, Zirkus, Schausteller und Urheberrechtsübertragungen.[3]

Bei den gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Einrichtungen[4] überschneiden sich diese Gründe für eine Begünstigung.

Inzwischen räumt die Bundesregierung ein, dass ermäßigte MwSt-Sätze nicht ausschließlich im Interesse des privaten Letztverbrauchers, sondern aus drei Gründen gerechtfertigt sein könnten:

1. zur Förderung des Leistungserbringers (Förderung des den Umsatz ausführenden Unternehmers),

2. zur Privilegierung bestimmter förderungswürdiger Umsätze losgelöst von der Person des Leistungsempfängers und der des Leistungserbringers,

3. zur indirekten Förderung bzw. Entlastung bestimmter Leistungsempfänger (Personen, an die der Umsatz ausgeführt wird). Entsprechend der Charakterisierung der Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer seien Maßnahmen zur indirekten Förderung bzw. Entlastung bestimmter Leistungsempfänger besonders bedeutsam.[5]

 

Rz. 10

Die Steuerermäßigung für die Land- und Forstwirtschaft und die frühere Steuerermäßigung für die freien Berufe sind bzw. waren, gemessen an dem ursprünglichen Grundgedanken des § 12 Abs. 2 UStG zum Zeitpunkt der Einführung der MwSt in Deutschland zum 1.1.1968 nicht systemgerecht, weil sie nicht vorwiegend im Interesse des privaten Letztverbrauchers, sondern bestimmter Unternehmergruppen gewährt wurden. Die Begünstigung bestimmter Umsätze in der Land- und Forstwirtschaft, nämlich der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse, der Futtermittel und bestimmter Dienstleistungen[6], liegt im Wesentlichen in der Sonderregelung des § 24 UStG (Pauschalierung) begründet. Die bis zum 31.12.1981 geltende ermäßigte Besteuerung der Leistungen der freien Berufe[7] war letztlich wohl ein politischer Kompromiss zwischen dem ursprünglichen Wunsch dieses Berufsstands auf eine generelle, im MwSt-System allerdings oft nachteilige Steuerbefreiung und der an sich systemgerechten Einbeziehung in den allgemeinen Steuersatz. Sie entsprach damit der Sonderstellung, die die freien Berufe auch bei anderen Steuerarten genießen. Im Übrigen war für die Begünstigung der freien Berufe die Absicht maßgebend, nicht zu verantwortende Preiserhöhungen zu vermeiden (Rz. 11). Die Honorare der Freiberufler liegen mit Rücksicht auf ihre lange Ausbildungszeit und ihre hohe Qualifikation im Allgemeinen über den Preisen für sonstige Dienstleistungen. Deshalb kam der Vermeidung von Preiserhöhungen im Bereich der freien Berufe besonderes Gewicht auch im Allgemeininteresse zu.[8]

 

Rz. 11

Von erheblicher Bedeutung für die Entscheidung des Gesetzgebers bei der Auswahl der einzelnen Steuerermäßigungstatbestände war der Gesichtspunkt der umsatzsteuerlichen Mehrbelastung, die bei Anwendung des allgemeinen Steuersatzes eingetreten wäre und die entweder zu nicht zu verantwortenden Preiserhöhungen oder – falls der Abnehmer erhöhte Preise nicht akzeptieren würde – zu einer nicht vertretbaren Gewinnschmälerung des Unternehmens geführt hätte.[9] Aus diesem Grund finden sich in dem Ausnahmekatalog des § 12 Abs. 2 UStG auch viele Tatbestände wieder, die bereits nach altem Umsatzsteuerrecht (bis 31.12.1967) begünstigt waren. Hieraus darf jedoch nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber allein das Eintreten einer Mehrbelastung durch die Systemumstellung als Motiv für eine Steuerermäßigung anerkannt hätte. Zusätzliches Motiv für die Auswahl war vielmehr, dass in diesen Bereichen eine umsatzsteuerliche Mehrbelastung des Privatverbrauchers aus besonderen Gründen (z. B. aus sozial- oder kulturpolitischen Gründen) vermieden werden sollte (Rz. 8f.).

[5] Antwort der Bundesregierung v. 28.6.2019 auf die Fragen 8 und 9 einer Kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, BT-Drs. 19/11256, 5.
[7] § 12 Abs. 2 Nr. 5 und 6 UStG ...

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