Rz. 347

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG ordnet eindeutig an, dass die Steuerbarkeit nicht entfällt, wenn der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt. Die Regelung hat eher klarstellenden Charakter, da der Rechtsgrund aus dem heraus eine Leistung gegen Gegenleistung ausgeführt wird, keine Bedeutung hat.[1] Voraussetzung ist aber immer, dass eine Verknüpfung zwischen der Leistung und der Gegenleistung vorhanden ist. So kann bei einem Diebstahl von Waren schon alleine aus dem mangelnden Leistungswillen und nicht erhaltenem Entgelt kein Vorgang vorliegen, der zu einem steuerbaren Umsatz führt.[2] Ein wirtschaftlicher Zwang (z. B. Verkauf zur Abwendung eines sonst erfolgenden Enteignungsverfahrens; Verkauf zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens) kann aber nicht dazu führen, dass ein Leistungsaustausch ausgeschlossen wird.

 

Rz. 348

Die Regelung, dass auch Umsätze aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung unter den Anwendungsbereich des UStG fallen können, entspricht dem Unionsrecht (Art. 14 Abs. 2 Buchst. a sowie Art. 25 Buchst. c MwStSystRL[3]).

 

Rz. 349

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG ist aus Sicht des leistenden Unternehmers zu sehen und ersetzt dessen Leistungswillen.[4] Ob der Leistungsempfänger seine Gegenleistung freiwillig oder aufgrund einer behördlichen Anordnung aufwendet, spielt bei der Beurteilung des Leistungsaustauschs keine Rolle[5], da der Leistungsaustausch nur auf eine mit der Leistung verknüpfte Gegenleistung abstellt.

 

Rz. 350

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG wird in der Praxis insbesondere dann anzuwenden sein, wenn Lieferungen oder sonstige Leistungen aufgrund einer Enteignung oder einer Beschlagnahme ausgeführt werden, für die eine Abfindung oder eine Entschädigung gezahlt wird. Wird mit der Zahlung aber keine Leistung abgegolten, sondern wird lediglich ein Schaden ausgeglichen, liegt ein nicht steuerbarer Schadensersatz vor (Rz. 202). Fälle des Leistungsaustauschs sind z. B.:

  1. Entschädigungen, die als Folgewirkung einer Enteignung nach §§ 93ff. BauGB gezahlt werden, sind kein Schadensersatz, sondern Entgelt im Rahmen eines Leistungsaustauschs.[6]
  2. Veräußert ein Unternehmer einen Teil seines Betriebsgrundstücks zur Vermeidung einer Enteignung, sind neben dem Kaufpreis auch die Entschädigung für eine Betriebseinschränkung auf dem Restgrundstück und die Vergütung für den Abbruch von Gebäuden auf dem veräußerten Grundstücksteil Entgelt für eine einheitliche (steuerfreie, da unter das GrEStG fallende) Leistung.[7]
[2] Ob es in diesen Fällen zu einer Korrektur des Vorsteuerabzugs aus bezogenen Leistungen kommt, kann nach Art. 185 Abs. 2 MwStSystRL von den einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehen werden, vgl. auch EuGH v. 4.10.2012, C-550/11, PIGI – Pavleta Dimova ET, DB 2012, 2384.
[5] A.A. Probst, in Hartmann/Metzenmacher, Lfg. 7/22, UStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG Rz. 255, der § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG auch dann anwenden will, wenn der Leistungsempfänger zu der Gegenleistung aufgrund behördlicher oder gesetzlicher Anordnung gezwungen ist.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge