Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreiheit von Englischunterricht einer Privatlehrerin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Inhaberin eines privaten Lernstudios kann sich für den an Vorschul- und Grundschulkinder erteilten Englischunterricht unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen.

2. Die Steuerbefreiung wird durch einen Franchisevertrag nicht ausgeschlossen, wenn die Unterrichtsinhalte von der Franchisenehmerin selbständig und eigenverantwortlich festgelegt werden.

3. Die für die Steuerbefreiung des Englischunterrichts erforderliche Mindestqualifikation im pädagogischen Bereich kann sich bei Fehlen einer entsprechenden Ausbildung auch durch die vorherige langjährige Tätigkeit als Englischlehrerin ergeben.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 21 Buchst. a; MwStSystRLArt. 132 Abs. 1 Buchst. j

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 18.11.2015; Aktenzeichen XI B 61/15)

BFH (Beschluss vom 18.11.2015; Aktenzeichen XI B 61/15)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Steuerbefreiung der von der Klägerin in den Streitjahren 2008 bis 2012 erbrachten Umsätze als selbständige Englischlehrerin.

Die Klägerin betreibt seit 2003 als Franchisenehmerin das Lernstudio "…" (E) in A. Sie vermittelt Kindern im Alter von vier bis zwölf Jahren Kenntnisse der englischen Sprache. Hierzu erteilte sie in den Streitjahren Gruppenunterricht in verschiedenen Kindertagesstätten in A und Umgebung sowie an einer Grundschule in A. Die Englischkurse waren im Hinblick auf ihren Inhalt entsprechend dem Wissensstand und Reifegrad der Kinder in die Stufen "Starter", "Advanced", "Champions" und "Club" gegliedert. Die Lerninhalte wurden schrittweise eingeführt. Als Material für den Unterricht setzte die Klägerin Schulbücher von Schulbuchverlagen und Materialien des Franchisegebers ein. Ziel des Englischunterrichts war es, den Kindern einen nahtlosen Übergang zum Sprachunterricht an weiterführenden Schulen zu ermöglichen. Für weitere Einzelheiten wird auf das von der Klägerin eingereichte Konzept "E" verwiesen. Neben dem Gruppenunterricht in den Kindertagesstätten und der Grundschule erteilte die Klägerin in den Streitjahren auch Nachhilfe in Englisch.

Die Teilnahme der Kinder an den Englischkursen der Klägerin in den Kindertagesstätten und der Grundschule war freiwillig und konnte jeweils monatlich beendet werden. Das Entgelt für die Kurse betrug monatlich 25 € und wurde von den Eltern der Kinder, in Einzelfällen auch anteilig über den Schulverein bzw. vollständig über den Bildungsfonds der Stadt A entrichtet. Ab September 2011 bzw. Dezember 2012 erfolgte die Abrechnung in Einzelfällen auch in Höhe von 10 € monatlich anteilig über sogenannte Bildungsgutscheine des Jobcenters A und der Stadt A auf der Grundlage von mit der Klägerin abgeschlossener Kooperationsvereinbarungen.

Die Klägerin erzielte in den Streitjahren folgende Bruttoumsätze:

2008

38.275 €

2009

35.298 €

2010

37.098 €

2011

33.484 €

2012

31,581 €

In den nicht zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre behandelte die Klägerin die Umsätze aus dem Lernstudio als steuerpflichtig. Für das Streitjahr 2008 ging die Umsatzsteuererklärung am 4. Januar 2010 und für das Streitjahr 2009 am 3. Januar 2011 beim Beklagten ein. Die Umsatzsteuererklärungen führten zu einer Festsetzung der Umsatzsteuer für 2008 in Höhe von 5.210,08 €, für 2009 in Höhe von 4.623,52 €, für 2010 in Höhe von 4,985,58 €, für 2011 in Höhe von 4.529,83 € und für 2012 in Höhe von 4.376,63 €.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2014 beantragte die Klägerin die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre, da die Klägerin Schulunterricht als Privatlehrerin erteilt habe, der nach Art. 132 Abs. 1 Buchs. j der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) steuerfrei sei. Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom 23. September 2014 ab, da es für die Steuerfreiheit der von der Klägerin erbrachten Umsätze an der nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) erforderlichen Bescheinigung des zuständigen Bildungsministeriums fehle. Die Verwaltung sei an die Vorschriften des bestehenden Umsatzsteuerrechts gebunden.

Den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin vom 15. Oktober 2010 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Umsätze der Klägerin nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei seien. Die Klägerin könne sich nicht unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchs. j MwStSystRL für den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht berufen. Denn es sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Sache des innerstaatlichen Rechts des Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden könne. Eine entsprechende Verwaltungsanweisung liege nicht vor.

Hiergegen richtet sich die am 6. März 2015 beim Finanzgericht eingegangene Klage, mit der die Klägerin an ihre...

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