Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Kindergeld für ein behindertes Kind

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird für ein über 27 Jahre altes Kind ein Grad der Behinderung von 100 % festgestellt und befindet sich das Kind deshalb seitdem in stationärer Behandlung, kann für dieses Kind nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG Kindergeld gewährt werden, wenn die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Es ist für das Vorliegen der Voraussetzungen von § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG nicht erforderlich, dass das Kind bereits vor dem Eintritt des 27. Lebensjahres nicht mehr in der Lage war, sich selbst zu unterhalten, es also beispielsweise trotz Behinderung einer Beschäftigung nachgegangen ist.

2. Zum Nachweis über den Eintritt der Behinderung eines an der Erbkrankheit Chorea Huntington erkrankten Kindes vor Vollendung des 27. Lebensjahres durch Zeugenaussage.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 Nr. 3, § 63 Abs. 1 S. 2

 

Tenor

1. Der Bescheid über Kindergeld vom 19. März 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. November 2004 wird dahingehend geändert, dass Kindergeld ab Dezember 2003 in Höhe von EUR 154 monatlich festgesetzt wird.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Kindergeld für ein behindertes Kind.

Der Sohn des Klägers, P. M., wurde am 18. Mai 1957 geboren. Er ist an der Erbkrankheit Chorea Huntington erkrankt. Das Amt für Familie und Soziales hat im Bescheid vom 15. September 2003 einen Grad der Behinderung von 100 % festgestellt. Der Sohn des Klägers befindet sich deshalb seit dem Jahr 2003 in stationärer Behandlung. Der Kläger stellte am 13. November 2003 bei der Beklagten einen Kindergeldantrag, der mit Bescheid vom 19. April 2004 abgelehnt wurde. Während des Verfahrens ging ein Ärztliches Zeugnis zu Maßnahmen für Kranke und Behinderte nach dem BSHG vom 8. Mai 2003 bei der Beklagten ein (vgl. wegen der Einzelheiten Bl. 25 – 30 Kindergeldakte). Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes ein (vgl. Bl. 42 – 43 Kindergeldakte). Der eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 22. November 2004 zurückgewiesen, wogegen sich die vorliegende Klage richtet.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm Kindergeld für seinen Sohn seit 2003 zustehe, da die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) vorlägen. Der Sohn sei aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten, es liege Heimbedürftigkeit vor. Die Behinderung sei auch vor dem 27. Lebensjahr eingetreten. Im Zeitraum von September 1983 bis Mai 1984 sei die Sicherung des Unterhalts durch den Sohn nicht gewährleistet gewesen. Aus dem ärztlichen Gutachten vom 8. März 2003 (Bl. 25 – 30 der Kindergeldakte) gehe hervor, dass die Krankheit bereits in frühen Kindesjahren ausgebrochen sei, die Diagnose der Krankheit sei erst im 20. Lebensjahr erfolgt. Die Beurteilung des Vorliegens einer Behinderung habe nur im kausalen Zusammenhang mit dem Fortschreiten des Gesundheitszustandes zu erfolgen, da oftmals nicht von vornherein absehbar sei, ob die vorhandene Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustandes länger als sechs Monate andauere. Der Sohn des Klägers und seine ehemalige Ehefrau könnten bezeugen, dass die Behinderung vor dem 27. Lebensjahr eingetreten sei, da die Symptome Bewegungsunruhen, plötzlich einsetzende unwillkürliche Bewegungen an Füßen und Beinen sowie psychiatrische Auffälligkeiten wie Alkoholexzesse, starke Reizbarkeit und Aggressivität, Schwermut und Depressionen, Rückzug von Kollegen und Gleichgültigkeit gegenüber der Familie zu verzeichnen gewesen seien.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung den Bescheid vom 19. April 2004 dahingehend zu ändern, dass Kindergeld in Höhe von 154 EUR monatlich ab Dezember 2003 festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der Nachweis über den Eintritt der Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres vom Kläger nicht geführt worden sei. Der Sohn des Klägers sei bis 1990 in seinem erlernten Beruf Instandhaltungmechaniker als Schweißer/Schlosser tätig gewesen. Nachweise über die Behinderung lägen seit 1997 durch erste medizinische Befunde vor.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Kindergeldakte verwiesen. Mit Beschluss vom 8. Dezember 2005 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin M.. Insoweit wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2006 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 19. April 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 22. November 2004 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG wird ein ...

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