Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Zwecke eines vollzeitigen Studiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme besuchte Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 9 Abs. 4 S. 8 EStG, wonach als erste Tätigkeitsstätte auch eine Bildungseinrichtung gilt, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 4 S. 8, Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 4a, 6; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 31.01.2019; Aktenzeichen VI B 8/18)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die ab dem Veranlagungszeitraum 2014 geltende Regelung in § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG für den Besuch einer Bildungseinrichtung zum Zwecke eines vollzeitigen Studiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme verfassungsgemäß ist.

Die Kläger sind seit 2009 verheiratet und wurden in den Streitjahren 2014 und 2015 antragsgemäß durch den Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin verfügte bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung zur medientechnischen Assistentin. Im Zeitraum vom 3. September 2012 bis zum 30. August 2015 absolvierte sie in Vollzeitform eine fachschulische Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Die schulische Ausbildung erfolgte an der Fachschule für Sozialwesen in Dresden, welche die Klägerin im Jahr 2014 an 160 Tagen und im Jahr 2015 an 50 Tagen besuchte und hierbei von (ungefähr) 7.15 Uhr bis 15.30 Uhr von ihrer Wohnung abwesend war. Außerdem leistete die Klägerin berufspraktische Ausbildungen vom 2. Dezember 2013 bis zum 21. März 2014 in Pirna an 55 Tagen – hiervon in 2014 an 40 Tagen – und vom 27. März 2015 bis zum 17. Juli 2015 in Ullersdorf bei Radeberg an 70 Tagen bei Abwesenheitszeiten von mehr als 8 Stunden täglich ab. Die einfache Entfernung zwischen der Wohnung der Kläger und der Fachschule betrug 10 km, zum Praktikumsort in Pirna 17 km und zur Ausbildungsstelle in Ullersdorf bei Radeberg 6 km. Für die Fahrten zur Fachschule und den Praktikumsorten nutzte die Klägerin einen auf den Kläger zugelassenen Pkw. In ihren Steuererklärungen für 2014 und 2015 machten die Kläger die Aufwendungen der Klägerin für die fachschulische Ausbildung insgesamt nach Dienstreisegrundsätzen geltend.

Der Beklagte hat die Fachschule hingegen nach § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG als erste Tätigkeitsstätte der Klägerin behandelt und insoweit lediglich die Entfernungspauschale für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG berücksichtigt. Die begehrten Pauschalen für den Verpflegungsmehraufwand hat der Beklagte in 2014 für das Praktikum in Pirna für 40 Tage (je 12 Euro) und in 2015 für das Praktikum in Ullersdorf für 60 Tage (je 12 Euro) anerkannt, für den Besuch der Fachschule in 2014 dagegen versagt. Nach dieser Maßgabe setzte der Beklagte mit Bescheiden vom 22. Juni 2016 die Einkommensteuer 2014 auf 6.028 Euro und die Einkommensteuer 2015 auf 23.088 Euro fest. Die hiergegen am 18. Juli 2016 eingelegten Einsprüche der Kläger wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 2016 als unbegründet zurück.

Die Kläger haben am 25. Januar 2017 Klage erhoben.

Die Kläger sind der Auffassung, dass der Besuch der Fachschule durch die Klägerin in den Streitjahren 2014 und 2015 nach Dienstreisegrundsätzen abzurechnen sei. Zwar habe der Beklagte die gesetzlichen Regelungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 und Satz 8 EStG korrekt angewandt, die Bestimmung in § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG, wonach eine Bildungseinrichtung zum Zwecke einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme als erste Tätigkeitsstätte gelte, erweise sich jedoch als verfassungswidrig, da sie dem Gebot einer folgerichtigen Umsetzung einer vom Staat getroffenen Entscheidung widerspreche. Eine verfassungsrechtliche Vorgabe bestehe dahin, dass der Gesetzgeber dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen mindestens das belassen müsse, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stelle. Hieraus ergebe sich die Ungleichbehandlung wie folgt: Ein Bürger, der – wie die Klägerin – eine Bildungseinrichtung im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG besuche, könne als Werbungskosten die Fahrtkosten lediglich in Höhe von 0,30 Euro je Entfernungskilometer absetzen, Verpflegungsmehraufwendungen nur im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung für einen Zeitraum von drei Monaten und Aufwendungen für die Unterbringung am Ort der Bildungseinrichtung – im Falle eines ledigen Arbeitnehmers – hingegen nicht steuerlich geltend machen. Demgegenüber erhalte ein Bürger, dem die Kosten für den Besuch derselben Bildungseinrichtung im Rahmen einer Förderung der beruflichen Weiterbildung nach §§ 81ff SGB III erstattet werden, nach §§ 85, 63 Abs. 3 Satz 1 SGB III, § 5 Abs. 1 BRKG dieselben Fahrtkosten mit einer Entschädigung von 0...

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