Leitsatz

1. Ordnet ein Unternehmer ein privat und unternehmerisch (gemischt)genutztes Gebäude in vollem Umfang seinem Unternehmen zu, kann er in vollem Umfang den Vorsteuerabzug aus den Bauerrichtungskosten in Anspruch nehmen und hat für den privat genutzten Gebäudeteil eine unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern (sog. Seeling-Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Neuregelung in § 15 Abs. 1b UStG).

2. Die Änderung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe in diesen Fällen dahin gehend, dass ab dem 1.7.2004 10 % der Herstellungskosten des Gebäudes über einen Zeitraum von zehn Jahren zugrunde zu legen sind, ist unionsrechtskonform und verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

 

Normenkette

§ 3 Abs. 9a Nr. 1, § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1, § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG, Art. 20 Abs. 3 GG, § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG i.d.F. des StÄndG 2003, Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a 6. EG-RL, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Rechtsanwalt. Für die Errichtung eines von ihm (überwiegend) privat genutzten Wohnhauses schloss er im September 2003 einen Generalunternehmervertrag. In seiner im Oktober 2003 abgege­benen Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat September 2003 ordnete er das Gebäude voll seinem Unternehmensvermögen zu und machte in den Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2003 und 2004 den vollen Vorsteuerabzug geltend. Von der Gesamtnutzfläche des Wohnhauses sollten 10,89 % an Dritte umsatzsteuerpflichtig vermietet werden. Das Gebäude wurde im Juni 2004 fertiggestellt.

Für die Streitjahre 2004 bis 2007 erklärte der Kläger für die Privatnutzung des Hauses eine unentgeltliche Wertabgabe. Als Bemessungsgrundlage der Privatnutzung setzte er in allen Streitjahren auf der Grundlage des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG in der bis einschließlich 30.6.2004 geltenden Fassung 1 % der Herstellungskosten des Gebäudes an.

Dagegen berücksichtigte das FA bei der Festsetzung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe für den Zeitraum ab 1.7.2004 zulasten des Klägers die mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt durch Gesetz vom 9.12.2004 (rückwirkend) neu eingeführte Vorschrift des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG.

Das FG wies die hiergegen erhobene Klage ab (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.11.2012, 1 K 2535/11, Haufe-Index 3591022, EFG 2013, 469).

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers war unbegründet. Der BFH entschied, das FG habe zu Recht erkannt, dass die unentgeltliche Wertabgabe aus der Privatnutzung des dem Unternehmen des Klägers zugeordneten Gebäudes ab dem 1.7.2004 nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG n.F. mit 10 % seiner Herstellungskosten anzusetzen sei. Dabei habe das FG zutreffend entschieden, dass diese Neuregelung weder unionsrechtswidrig sei noch gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot verstoße.

Der BFH ließ offen, ob es sich bei der in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG getroffenen Neuregelung bezogen auf die (auch) für die Monate ab Juli 2004 streitbefangene Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe um eine echte Rückwirkung i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG handelt oder ob – wie jedenfalls für die Streitjahre 2005 bis 2007 – insoweit eine unechte Rückwirkung anzunehmen ist. Denn § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG genüge auch bei Annahme einer echten Rückwirkung den (insoweit strengeren) verfassungsrechtlichen Vorgaben, weil der Kläger auf den Fortbestand der früheren gesetzlichen Regelung in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. nicht habe vertrauen können, sondern mit einer Änderung der Gesetzeslage habe rechnen müssen. Dies hat der BFH in seinem Urteil im Einzelnen dargelegt.

 

Hinweis

1. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. war die unentgeltliche Wertabgabe aus der Privatnutzung des dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Kosten zu bemessen, soweit sie zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.

Nach der damals einhelligen Auslegung des Begriffs der "Kosten" i.S.d. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG a.F. war dabei grundsätzlich von den bei der Einkommensteuer zugrunde gelegten Kosten, d.h. von den nach Maßgabe der jährlichen AfA gemäß § 7 Abs. 4 EStG auf 50 Jahre zu verteilenden Herstellungskosten auszugehen.

2. Für nach dem 30.6.2004 ausgeführte Umsätze ist gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 UStG n.F. der Umsatz bei sonstigen Leistungen i.S.d. § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Ausgaben zu bemessen, soweit sie zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben. Zu diesen Ausgaben gehören nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 UStG auch die Anschaffungs‐ oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts, soweit das Wirtschaftsgut dem Unternehmen zugeordnet ist und für die Erbringung der sonstigen Leistung verwendet wird. Betragen die Anschaffungs‐ oder Herstellungskosten mindestens 500 EUR, sind sie gleichmäßig auf einen Zeitraum zu verteilen, der dem für das Wirtschaftsgut maßgeblichen Berichtigung...

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