Leitsatz

Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung ist noch nicht rechtlich entstanden im Sinn der Rechtsprechung zu Verbindlichkeitsrückstellungen, wenn die Rechtsnorm, in der sie enthalten ist, eine Frist für ihre Erfüllung enthält, die am maßgeblichen Bilanzstichtag noch nicht abgelaufen ist (Abgrenzung gegenüber dem BFH-Urteil vom 27.06.2001, I R 45/97, BFH/PR 2001, 337, BStBl II 2003, 121).

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 EStG, § 249 HGB, § 120 Abs. 2 S. 1 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin unterhielt eine Tankstellenkette. Aufgrund umweltschutzrechtlicher Vorschriften musste sie Tankstellen mit einem Gasrückführungssystem ausstatten und flüssigkeitsundurchlässige Bodenbefestigungen im Zapfsäulenbereich einbauen lassen. Die gesetzlichen Fristen dafür liefen bis Ende 1997 bzw. 1998. Mit den Bodenbefestigungen hatte die Klägerin schon 1996 begonnen. Ihr waren bis zum 31.12.1996 Kosten von 1,8 Mio. DM entstanden, die sie aktivierte. Außerdem bildete sie Rückstellungen für weitere Bodenbefestigungen von 1,2 Mio. DM und für Gasrückführungssysteme von 0,6 Mio. DM.

Nach einer Prüfung erkannte das FA die zum 31.12.1996 gebildeten Rückstellungen nicht an. Den Antrag der Klägerin, im Weg der Bilanzberichtigung die aktivierten Kosten für Bodenbefestigungen als Erhaltungsaufwand zu behandeln, lehnte das FA ab.

Das FG gab der Klage nur in Bezug auf die Rückstellung für Gasrückführungssysteme statt (FG München, Urteil vom 28.06.2005, 6 K 2749/03, Haufe-Index 1408399, EFG 2005, 1528).

 

Entscheidung

Beide Beteiligten legten gegen das Urteil Revision ein. Die Klägerin versäumte jedoch eine rechtzeitige Begründung, sodass der BFH ihre Revision als unzulässig verwarf. Die Revision des FA hielt der BFH für begründet. Eine Rückstellung könne nicht gebildet werden, weil die öffentlich-rechtliche Verpflichtung am 31.12.1996 noch nicht entstanden sei und ihre wirtschaftliche Verursachung auch nicht in der Vergangenheit liege.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung reiht sich in eine ganze Kette von Urteilen zur Rückstellung bei Umweltschutzmaßnahmen ein. Verschärfte Umweltschutzregelungen führen dazu, dass auch bestehende und mit behördlicher Genehmigung wirtschaftende Unternehmen Investitionen vornehmen müssen, um ihren Betrieb aufrechterhalten zu dürfen.

Die sogenannte Anpassungsverpflichtung ist eine öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit. Eine solche Verbindlichkeit kann ebenso wie eine privatrechtliche Verbindlichkeit die Bilanzierung einer Verbindlichkeitsrückstellung zur Folge haben. Für öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten verlangt die Rechtsprechung allerdings eine hinreichende Konkretisierung der Verpflichtung, nämlich die Verpflichtung zu einem bestimmten Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums. An einer derartigen Konkretisierung gibt es keinen Zweifel, wenn die Pflicht aus einem Verwaltungsakt oder einem öffentlich-rechtlichen Vertrag folgt. Es reicht aber auch eine unmittelbar aus einer Rechtsnorm folgende konkrete und sanktionierte Verpflichtung aus, wenn sichergestellt ist, dass sich der Steuerpflichtige der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen kann.

2. Eine Verbindlichkeitsrückstellung kommt für dem Grund und der Höhe nach ungewisse Verpflichtungen und für dem Grund nach gewisse und nur in Bezug auf die Höhe ungewisse Verbindlichkeiten in Frage. Jedenfalls bei dem Grund nach noch nicht wirksam entstandenen Verbindlichkeiten muss hinzukommen, dass die Verpflichtung in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht ist. Eine Verpflichtung, die erst mit künftig zu erzielenden Erträgen zusammenhängt, ist nicht in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht, sondern ausschließlich in der Zukunft. So verhielt es sich hier mit dem Einbau der Gasrückführungssysteme; sie stehen nicht in Zusammenhang mit früheren, sondern nur mit künftigen Treibstoffverkäufen.

Unklar ist allerdings, ob auch bei einer voll wirksam entstandenen Verbindlichkeit ein Vergangenheitsbezug gefordert werden kann. Der I. Senat des BFH hatte dies im bekannten Spanplattenwerkfall verneint (BFH, Urteil vom 27.06.2001, I R 45/97, BFH/PR 2001, 337), sich dabei aber wohl von anderen Senaten abgesetzt. Der IV. Senat lässt im Besprechungsurteil ausdrücklich offen, ob er sich der Auffassung des I. Senats anschließen könnte.

3. Es kam nämlich in concreto auf diese Streitfrage nicht an. Denn der IV. Senat kam zu dem Ergebnis, dass die Verpflichtung zum Einbau von Gasrückführungssystemen noch nicht wirksam entstanden sei. Die diesbezüglichen Ausführungen des BFH bilden wohl den Kern der Entscheidung: Eine Anpassungsverpflichtung, die erst bis zum Ablauf einer bestimmten Frist erfüllt werden muss, entsteht erst mit Fristablauf. Sie ist zu unterscheiden von einer sofort zu erfüllenden Verpflichtung, für deren Erfüllung lediglich noch eine behördliche (Schon-)Frist gesetzt worden ist. Die Rechtspraxis wird also zukünftig Fristen für Anpassungsverpflichtungen sorgfältig zu analysieren haben, um sie einer der beiden Typen zuordnen zu können.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vo...

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