Bei am Bilanzstichtag bereits anhängigen Prozessen kennt der Gläubiger seinen Anspruch und betreibt bereits dessen Durchsetzung. Vor diesem Hintergrund muss der Bilanzierende grundsätzlich von einer Verpflichtung ausgehen, für die eine Rückstellung zu bilden ist.

Etwas anderes gilt nur,

  • wenn die Klage oder das Rechtsmittel offensichtlich unzulässig, dem Grund oder der Höhe nach willkürlich oder offensichtlich nur zum Schein angestrengt worden ist.[1]
  • wenn weitere gewichtige objektive Umstände ersichtlich sind, die gegen ein Unterliegen im Prozess sprechen, sofern es sich nicht um erst nach dem Bilanzstichtag eingetretene wertbegründende Tatsachen handelt.
  • wenn eine Rechtsschutzversicherung besteht, die die zu erwartenden Aufwände abdeckt.[2]
 
Praxis-Beispiel

Keine Rückstellungsbildung beim Vorliegen eines Gutachtens, wonach das Unterliegen des Kaufmanns im Prozess nicht überwiegend wahrscheinlich ist

Nach dem Urteil des BFH vom 16.12.2014 ist in der Bilanz des beklagten Kaufmanns keine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit wegen eines gegen ihn geführten Klageverfahrens zu bilden, wenn nach einem von fachkundiger dritter Seite erstellten Gutachten sein Unterliegen im Prozess am Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich ist.[3]

Im entschiedenen Fall gab die beklagte AG auf Verlangen ihrer Hausbank ein Gutachten bei einer namhaften Anwaltskanzlei über die Erfolgsaussichten der gegen sie anhängigen Klage in Auftrag. Laut Gutachten war ein Unterliegen nicht überwiegend wahrscheinlich. Laut BFH genügt das für die Versagung einer entsprechenden Rückstellungsbildung.

Denn sind gewichtige objektive Umstände ersichtlich, die gegen ein Unterliegen im Prozess sprechen, sind lt. BFH auch diese im Rahmen der Prognoseentscheidung zu berücksichtigen, sofern es sich nicht um nach dem Bilanzstichtag eingetretene wertbegründende Tatsachen handelt. Zu diesen objektiven Umständen, die Eingang in die Prognose über den Ausgang des Verfahrens finden können, kann auch ein im Werterhellungszeitraum von fachkundiger dritter Seite erstelltes Gutachten gehören, welches zu dem Ergebnis kommt, das Unterliegen im Verfahren sei zum Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich.

Die darauf gestützte Prognoseentscheidung, die Klage werde als unbegründet abgewiesen, ist laut BFH nicht zu beanstanden, wenn das eingeholte Gutachten sich mit allen vom Prozessgegner geltend gemachten Ansprüchen und den Fragen der prozessual notwendigen Beweiserhebung auseinandersetzt und der Ausgang des Rechtsstreits von der Entscheidung mehrerer ungeklärter Rechtsfragen sowie von einer noch nicht durchgeführten Beweisaufnahme abhängt.

[1] Ähnlich BFH, Urteil v. 27.11.1997, IV R 95/96, Orientierungssatz 1.
[2] Vgl. Schubert, in: Beck'scher Bilanzkommentar, § 249 HGB, 12. Aufl., Rz. 100 (Prozesskosten).

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