Leitsatz

Bei einem Reihengeschäft mit drei Lieferungen und vier Beteiligten setzt die Zuordnung der Versendung zu der zweiten Lieferung insbesondere die Feststellung voraus, ob zwischen dem Erstabnehmer und dem Zweitabnehmer die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, stattgefunden hat, bevor die Versendung erfolgte (Fortführung der Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 28.05.2013 ‐ XI R 11/09, BFHE 242, 84; vom 25.02.2015 ‐ XI R 30/13, BFHE 249, 336; vom 25.02.2015 ‐ XI R 15/14, BFHE 249, 343).

 

Normenkette

§ 3 Abs. 6 Satz 5, § 4 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2, § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG, Art. 14 Abs. 1, Art. 146 Abs. 1 Buchst. a und b EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im September 2012 von der im UK ansässigen B-Ltd. mit der Lieferung von Ersatzteilen beauftragt. Dem lag eine Bestellung der Firma C-Inc. aus den USA zugrunde, wobei jene Bestellung auf eine Bestellung der Firma D-S.A. aus Peru zurückging. Die Lieferung sollte unmittelbar von Deutschland nach Peru erfolgen.

Die Klägerin erteilte der B-Ltd. eine Abschlagsrechnung ohne Umsatzsteuer ("Tax 0 %"). Die B-Ltd. zahlte den Betrag in zwei Raten (16.10.2012 und 17.10.2012). Unter dem 19.12.2012 stellte die Klägerin der B-Ltd. die Schlussrechnung; Umsatzsteuer wurde erneut nicht gesondert ausgewiesen. Die B-Ltd. zahlte den Restbetrag. Am 20.12.2012 erstellte die Klägerin einen Lieferschein über die Ersatzteile (drei Packstücke, Lieferanschrift: D-S.A., Peru, durch Auftrag: B-Ltd., Rechnungsanschrift: C-Inc., USA, Abholung, Versandart: Spedition – ab Werk – EXW).

Am 17.12.2012 rechnete die B-Ltd. gegenüber der C-Inc. ohne Umsatzsteuer ab.

Unter dem 19.2.2013 bestätigte die Spedition den Auftrag (Lieferbedingungen EXW, Absender: C-Inc.). Im Ausgangsvermerk für die streitgegenständliche Lieferung nach Peru ist die Klägerin als Absender der Sendung und als Anmelder aufgeführt (Lieferbedingung EXW). Die Frachtkosten wurden von der C-Inc. getragen, die die Spedition mit der Abholung der Ersatzteile und dem Transport nach Peru beauftragt hat.

Im April 2013 wurde über das Vermögen der B-Ltd. im UK das Insolvenzverfahren eröffnet. Die B-Ltd. wurde aufgelöst.

Die Klägerin erklärte die Lieferung an die B- Ltd. als innergemeinschaftliche Lieferung im Jahr 2012.

Das FA war der Auffassung, dass die Lieferung an die B-Ltd. eine Lieferung in einem Reihengeschäft sei und dass die Versendung der Ware dieser Lieferung zugeordnet werden könne, weil die C-Inc. die Waren versendet habe. Die Lieferung der Klägerin an die B-Ltd. sei eine "ruhende" Lieferung im Inland, die steuerpflichtig sei.

Nach erfolglosem Einspruch wies die Vorinstanz (FG Düsseldorf, Urteil vom 4.5.2018, 1 K 2413/16 U, Haufe-Index 11829126, EFG 2018, 1306) die Klage ab.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision der Klägerin als unbegründet zurück.

Er bestätigte zunächst uneingeschränkt die Auffassung des FG, dass die Lieferung der Klägerin an die B-Ltd. im Dezember 2012 (durch Übereignung unter Vereinbarung eines Besitzkonstituts) erfolgt sei.

Soweit das FG zur Zuordnung der Warenbewegung auf die Incoterms (hier: EXW) abgestellt hatte, führte der BFH aus, dass dies rechtsfehlerhaft sei.

Allerdings stelle sich die Vorentscheidung dennoch als richtig dar, da das FG außerdem zu Recht angenommen habe, dass die Lieferung der B-Ltd. an die C-Inc. vor Beginn der Versendung (und damit in Deutschland) erfolgt sei. Damit sei der Versand nach Peru nicht der Lieferung der Klägerin an die B-Ltd. zuzuordnen.

 

Hinweis

1. Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und gelangt der Liefergegenstand bei der Beförderung oder Versendung (Warenbewegung) unmittelbar vom ersten Unternehmer zum letzten Abnehmer, ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen. Die in der Praxis schwierige Frage beim Reihengeschäft ist: Welcher Lieferung?

2. Während die Finanzverwaltung auf die Transportveranlassung und Frachtzahlerkonditionen abstellen will (vgl. Abschn. 3.14 Abs. 7 UStAE), stellt die EuGH-Rechtsprechung darauf ab, ob die Zweitlieferung vor der Warenbewegung stattgefunden hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19.12.2018, C‐414/17, AREX CZ, Haufe-Index 1248197,0, UR 2019, 101, Rz. 70 f.; EuGH, Urteil vom 23.4.2020, C-401/18, Herst, Haufe-Index 13789886, Rz. 43 ff.).

Lieferung (Verschaffung der Verfügungsmacht) und Beförderung bzw. Versendung (Warenbewegung) sind unterschiedliche Tatbestandsmerkmale, die getrennt voneinander zu prüfen sind.

3. Das Besprechungsurteil bestätigt, dass die Warenbewegung nicht mehr der Erstlieferung zugeordnet werden kann, sondern der Zweitlieferung zuzuordnen ist, wenn die Zweitlieferung vor Beginn der Warenbewegung im Inland stattgefunden hat.

4. Das Besprechungsurteil stellt weiter klar, dass die Verschaffung der Verfügungsmacht in der Übereignung (unter Vereinbarung eines Besitzkonstituts) liegen kann.

5. Offen lässt das Besprechungsurteil, ob § 3 Abs. 6 UStGni...

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