Leitsatz

1. Mit der Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen im Finanzprozess wird das Verfahren abgeschlossen und erwächst der betreffende Steuerbescheid in Bestandskraft.

2. Das Revisionsgericht hat in eigener Zuständigkeit zu prüfen, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat.

3. Die Teileinspruchsentscheidung erfordert einen Ausspruch darüber, hinsichtlich welcher Teile Bestandskraft nicht eintreten soll.

4. Ist der Einspruch insgesamt entscheidungsreif, ist der Erlass einer Teileinspruchsentscheidung nicht sachdienlich.

5. Ist ein Änderungsbescheid zum Gegenstand eines Einspruchsverfahrens geworden, besteht für einen Einspruch gegen den Änderungsbescheid kein Rechtsschutzbedürfnis.

 

Normenkette

§ 365 Abs. 3 Satz 1, § 367 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2a AO, § 133, § 157 BGB

 

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein eingetragener Verein, erledigte im Streitjahr (2008) für das Bundesamt für Zivildienst Verwaltungsaufgaben nach § 5a ZDG. Diese Umsätze meldete er als steuerpflichtig zum allgemeinen Steuersatz an und legte gegen die Steuerfestsetzung Einspruch mit der Begründung ein, die betreffenden Leistungen unterlägen nur dem ermäßigten Steuersatz. Das FA ordnete im Hinblick auf das Revisionsverfahren V R 93/07 das Ruhen des Einspruchsverfahrens an.

Im Jahr 2010 fand beim Kläger eine Lohnsteuer-Außenprüfung statt, in deren Rahmen das FA die Beköstigung der Mitarbeiter durch den Kläger für steuerpflichtig hielt. Das FA erließ am 15.12.2010 einen entsprechenden USt-Änderungsbescheid, gegen den der Kläger am 22.12.2010 Einspruch einlegte mit der Begründung, die Beköstigung des pädagogischen Personals sei steuerfrei.

Am 24.5.2012 erließ das FA einen Teilabhilfebescheid und wies mit Einspruchsentscheidung vom 1.6.2012, die im Rubrum als Eingangsdatum des Einspruchs den 22.12.2010 und als Datum des Bescheids den 15.12.2010, zuletzt geändert mit Bescheid vom 24.5.2012, nennt, den Einspruch des Klägers wegen USt 2008 als unbegründet zurück. Sie befasst sich in den Gründen ausschließlich mit der Beköstigung des Personals.

Der Kläger erhob am 28.6.2012 vor dem FG unter dem Az. 15 K 2162/12 U Klage wegen USt 2008. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 3.7.2013 einen Änderungsbescheid über USt, mit dem die Beköstigung des pädagogischen Personals steuerfrei gestellt wurde. Hierauf erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit 15 K 2162/12 U übereinstimmend für erledigt; die Kosten des Verfahrens wurden dem FA auferlegt.

Im Jahr 2014 nahm das FA im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 23.7.2009, V R 93/07 (BFH/NV 2009, 2073) die Einspruchsverfahren (u.a. auch wegen USt für 2008) wieder auf. Den Antrag des Klägers vom 15.12.2015, die Übernahme von Verwaltungsaufgaben nach § 5a ZDG nunmehr steuerfrei zu stellen, lehnte das FA (nur) hinsichtlich 2008 am 14.3.2016 unter Hinweis auf eine Bestandskraft des Bescheides über USt vom 3.7.2013 ab. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG gab der Klage statt (FG Münster, Urteil vom 31.10.2019, 15 K 1814/16 U, Haufe-Index 13607258, EFG 2020, 73). Der USt-Bescheid vom 3.7.2013 sei noch änderbar, da es sich bei der Einspruchsentscheidung vom 1.6.2012 um eine Teileinspruchsentscheidung gehandelt habe, mit der nur über die Besteuerung der Beköstigung des pädagogischen Personals entschieden worden sei. Der Einspruch hinsichtlich der Besteuerung der Übernahme von Verwaltungsaufgaben nach § 5a ZDG sei noch nicht verbeschieden, der Vorbehalt der Nachprüfung nicht entfallen und Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil ist ein Beleg für Edward Aloysius Murphys Gesetz: "Anything that can go wrong will go wrong". Berater, Finanzämter und Finanzgerichte sind gemeinsam aufgerufen, dies durch Maßnahmen der Qualitätssicherung zu verhindern.

1. Die wesentliche Kernaussage des Besprechungsurteils ist m.E., dass mit der Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen der betreffende Steuerbescheid in Bestandskraft erwächst, und zwar auch dann, wenn es eigentlich noch weitere, unerkannte Streitpunkte gibt, die dabei aber von Beteiligten und dem FG übersehen wurden. Bei Abgabe der Erklärung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, ist deshalb extreme Vorsicht angesagt. Es muss noch einmal genau geprüft werden, ob das auch tatsächlich der Fall ist.

2. Den "Reparaturversuch" des FG, das aufgrund des übersehenen Streitpunkts aus einer Einspruchsentscheidung eine Teil-Einspruchsentscheidung machen wollte, hat der BFH verworfen und dabei der Beschränkung der Reichweite einer Einspruchsentscheidung auf das engstmögliche Verständnis (Zurückweisung nur des im Rubrum genannten Einspruchs gegen den im Rubrum gennannten Bescheid) eine Absage erteilt. Trotz des Rubrums werde mit dem Tenor "Der Einspruch wird als unbegründet zurückgewiesen" (auch) der ursprünglich eingelegte Einspruch zum Streitgegenstand zurückgewiesen. Manch einer wird das für nicht zwingend halten, muss jedoch zur Kenntnis nehmen, da...

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