Leitsatz

Die echte Rückwirkung des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG (Aufhebung des Vertrauensschutzes) kann aufgrund der kompensatorischen Maßen des Gesetzgebers gerechtfertigt werden. Der Bauleistende hat aber einen Anspruch gegen das Finanzamt auf Annahme der Abtretung des Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen den Bauträger.

 

Sachverhalt

Es handelt sich um einen klassischen Bauträgerfall, in dem die Klägerin Innenputzarbeiten an eine Bauträger-GmbH erbracht hat. Dabei waren die Vertragsparteien von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gemäß § 13b UStG ausgegangen. Später nahm das Finanzamt die Klägerin für Umsatzsteuer in Anspruch, weil die Bauträger-GmbH ihrerseits aufgrund der BFH-Entscheidung vom 22.8.2013 (V R 37/10) "ihre"§ 13b UStG-Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückforderte. Die Klägerin machte gegenüber dem Finanzamt geltend, dass § 176 Abs. 2 AO (Vertrauensschutz) einer Änderung ihrer Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr entgegenstehe.

 

Entscheidung

§ 27 Abs. 19 UStG ist nach Ansicht des Finanzgerichts verfassungsgemäß und unionsrechtskonform. Dass § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG den Vertrauensschutz des § 176 AO quasi ausschließt, führt zwar zu einer echten Rückwirkung; diese ist jedoch sachlich begründet, da der Gesetzgeber mit der Einführung von § 27 Abs. 19 Satz 1 und 2 UStG einen legitimen Zweck verfolgt hat. Er beabsichtigte mit der Einführung die verfahrensrechtlichen Mittel zu schaffen, um eine richtlinienkonforme Umsatzbesteuerung, nämlich den Bauleistenden in den hier streitigen Bauträgerfällen als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen, durchführen zu können. Außerdem verursacht die rückwirkende Gesetzesänderung keinen oder nur ganz unerheblichen Schaden. Vorliegend ist nämlich der sog. Bagatellvorbehalt erfüllt, da eine finanzielle Belastung ausgeschlossen werden kann. Bei entsprechender verfassungskonformer Auslegung des § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG mit der Ausschöpfung aller verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Abmilderung des Eingriffs in atypischen Einzelfällen (Erlass, §§ 163, 227 AO) kommt es nicht zu einer finanziellen Belastung der Klägerin. Die Klägerin hat nämlich einen Anspruch darauf ("Ermessensreduzierung auf Null"), den Anspruch des Finanzamts auf Zahlung der Steuer durch Abtretung des ggf. vorhandenen Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen den Bauträger zu erfüllen.

 

Hinweis

Das FG Münster ist bei verfassungskonformer Auslegung von § 27 Abs. 19 Satz 3 und 4 UStG der Auffassung, dass jegliche finanziellen Belastungen des Bauleistenden auf Erhebungsebene kompensiert werden können, was zur Rechtfertigung der Rückwirkung führe (vgl. Kessens, EFG 2016, S. 862). Wie die Steuerverschonung des Bauleistenden auf der Erhebungsebene genau aussehen könnte, erläutert das Gericht nicht zuletzt in seinem Urteil vom gleichen Tag (Az. 15 K 3669/15 U). Danach steht die vorherige Erfüllung der Steuerschuld durch den Bauleistenden einem Anspruch gegen das Finanzamt auf Annahme der Abtretung des Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen den Bauträger nicht entgegen. Auch sei eine Rechnungsausstellung gegenüber dem Bauträger für das Bestehen des Anspruchs gemäß § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG nicht erforderlich, sondern nur für die Feststellung der Erfüllungswirkung nach § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG. Bei Streit über die Erfüllungswirkung der Abtretung ist danach durch gesonderten Abrechnungsbescheid zu entscheiden. Außerdem hat das Finanzgericht darauf hingewiesen, dass eine Änderung der Bemessungsgrundlage im Sinne des § 17 UStG (Uneinbringlichkeit des Entgelts), so wie sie jüngst vom BFH ins Spiel gebracht wurde (vgl. Beschluss vom 27.1.2016, V B 87/15), nicht gegeben ist.

Aufgrund der unübersichtlichen Rechtslage ist betroffenen Bauleistenden nach wie vor zu empfehlen, "zweigleisig" zu fahren. Soll heißen: Sowohl auf der Steuerfestsetzungsebene (Einspruch, ggf. Klage) als auch auf der Erhebungsebene (Billigkeitsmaßnahmen) sollte mit Rechtsmitteln/Anträgen agiert werden.

 

Link zur Entscheidung

FG Münster, Urteil vom 15.03.2016, 15 K 1553/15 U

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