Rz. 38

Der häufig verwendete Anlagendeckungsgrad[1] gibt an, inwieweit das Anlagevermögen durch langfristige Finanzierungsmittel gedeckt ist. Diese Kennzahl stellt auf die Fristenkongruenz der Finanzierung ab. Langfristig im Betrieb verbleibendes Vermögen sollte langfristig finanziert sein, sonst besteht die Gefahr, dass bei kurzfristigen Finanzierungsschwierigkeiten (z. B. die Bank verlängert einen Kredit nicht) betriebsnotwendiges Anlagevermögen verkauft werden muss oder ggf. eine Liquiditätskrise eintritt. Problematisch ist, dass das HGB eine Trennung nach Fristigkeiten auf der Aktivseite der Bilanz nicht eindeutig vornimmt. Somit ist die Erwartung, dass das Anlagevermögen stets langfristig zu finanzieren sei, in der Praxis oft nicht notwendig. Dagegen ist aber auch die Erwartung, dass das Umlaufvermögen dementsprechend nur kurzfristig zu finanzieren ist, oft ebenso falsch, was schon an der Pflichtangabe der Forderungen mit einer Restlaufzeit über 5 Jahre deutlich wird. Daher erscheint es zumindest für die interne Betrachtung sinnvoller, den genaueren Langfristdeckungsgrad zu ermitteln:

 
Langfristdeckungsgrad (in %) = Eigenkapital + Langfr. Fremdkapital × 365
Langfristiges Vermögen
 

Rz. 39

Erst aus der Gegenüberstellung von Vermögen als Mittelverwendung und Kapital als Mittelbeschaffung wird es möglich, die Fristenentsprechung beider Seiten im Hinblick auf ihre Liquiditätskonsequenzen beurteilen zu können.[2] Der Langfristdeckungsgrad verdeutlicht somit, ob zwischen langfristiger Mittelverwendung und Mittelbeschaffung im Nettoeffekt der Bilanzbestände strukturelle Liquiditätsungleichgewichte vorliegen, die nachhaltig als finanzielle Belastung drohen. Diese langfristigen Deckungsrelationen sind ein Ausdruck für die finanzielle Risikolage auf lange Sicht; sie verdeutlichen, inwieweit neben den ohnehin vorhandenen Markt-, Kosten- und technischen Risiken auch noch Fristenunabgestimmtheiten und Prolongationsrisiken seitens der Finanzierung bestehen, die die finanzielle Stabilität strukturell belasten. Bei der Interpretation der Kennzahl ist zu beachten, dass es sich um eine statische Größe an einem bestimmten Zeitpunkt handelt. Einerseits können vorhandene Kreditrahmen eine angezeigte Unterdeckung ggf. schnell ausgleichen, andererseits können Investitionsvorhaben oder langfristige Eventualverpflichtungen eine angezeigte Überdeckung auch schnell zunichte machen. Zudem ist zu bedenken, dass keine Unterteilung in betriebsnotwendiges und schnell veräußerbares langfristiges Vermögen vorgenommen wird. So könnten etwa nicht betrieblich genutzte Immobilien vergleichsweise kurzfristig verkauft werden, um ein Liquiditätsungleichgewicht zu entspannen. Ebenso können Sale-and-Lease-back-Geschäfte vorgenommen werden. Derartige Möglichkeiten wären dem Kreditinstitut gegenüber zu erläutern.

[1] Vgl. zur Verwendung bei Ratingsystemen Meyer, Kunden-Bilanzanalyse der Kreditinstitute, 2. Aufl. 2000, S. 289; Gleißner/Füser, Leitfaden Rating: Basel II: Rating-Strategien für den Mittelstand, 2002, S. 107; Dicken, Kreditwürdigkeitsprüfung, 2. Aufl. 1999, S. 92.
[2] Vgl. Lachnit/Müller, Bilanzanalyse, 2. Aufl. 2017, S. 284 ff.

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