Leitsatz

1. Das Steuergeheimnis wird grundsätzlich nicht verletzt, wenn die Offenbarung von erheblichen Steuerrückständen gegenüber den Gewerbebehörden dazu dienen kann, diesen die Erfüllung der ihnen durch § 35 GewO auferlegten Aufgabe zu ermöglichen (Bestätigung BFH, Urteil vom 10.2.1987, VII R 77/84, BStBl II 1987, 545).

2. Die Finanzbehörde hat nur die Offenbarung von solchen Tatsachen zu unterlassen, die eindeutig von vornherein nicht geeignet sind, alleine oder in Verbindung mit anderen Tatsachen eine Gewerbeuntersagung zu rechtfertigen. Dabei muss die Finanzbehörde die Maßstäbe anlegen, die von den Verwaltungsbehörden und -gerichten aufgestellt worden sind; ihr ist nicht gestattet, selbst zu beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 35 GewO tatsächlich vorliegen.

3. Eine Mitteilung auch über nicht bestandskräftig festgesetzte Steuerforderungen ist danach grundsätzlich zulässig und nicht unverhältnismäßig.

4. Eine Klage auf Feststellung eines Bruchs des Steuergeheimnisses gegenüber der Gewerbebehörde ist aufgrund des Genugtuungsinteresses des Steuerpflichtigen zulässig. Das Feststellungsinteresse hängt nicht davon ab, dass die Feststellung, das Steuergeheimnis sei verletzt worden, die rechtliche und tatsächliche Position des Klägers gegenüber der Gewerbebehörde verbessern könnte.

 

Normenkette

§ 30 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 5 AO 1977 , § 41 Abs. 1 und 2 FGO , § 56 Abs. 1 und 2 FGO , § 35 Abs. 1 GewO

 

Sachverhalt

Das FA regte bei der zuständigen Verwaltungsbehörde an, gegen einen Steuerpflichtigen ein Gewerbeuntersagungsverfahren nach § 35 GewO einzuleiten. Der Steuerpflichtige habe erhebliche Steuerrückstände. Das FA übersandte dem Regierungspräsidium eine diesbezügliche Aufstellung. Diese beruht teils auf bestandskräftig festgesetzten, teils auf strittigen Steuerforderungen und wurde vom FA entsprechend aufgeschlüsselt. Durch diese Mitteilungen sah der Steuerpflichtige das Steuergeheimnis verletzt. Er erhob Feststellungsklage.

 

Entscheidung

Der BFH sieht die Feststellungsklage als zulässig an. Es handle sich um einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre, gegen den regelmäßig nur im Weg der Feststellungsklage Rechtsschutz überhaupt erlangt werden könne. Deshalb sei ein berechtigtes Interesse anzuerkennen, "eine gewisse Genugtuung für erlittenes Unrecht" dadurch zu erlangen, dass dieses Unrecht festgestellt wird. Das gelte nicht nur bei Maßnahmen mit diskriminierendem oder ehrverletzendem Charakter, an welchen es im Streitfall allerdings fehle. Es sei vielmehr auch bei solchen Rechtsverletzungen anerkannt worden, die sonst eine besondere Beziehung zum Recht des Betroffenen haben, als Persönlichkeit mit einem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung anerkannt zu werden (Hinweis auf BStBl II 1998, 750). Beim Bruch des Steuergeheimnisses handelt es sich um eine Rechtsverletzung von solcher Art.

Das FA habe jedoch das Steuergeheimnis nicht unberechtigt gebrochen, und zwar auch nicht insoweit, als es der Gewerbebehörde die noch im Streit befindlichen Steuerrückstände mitgeteilt habe (nur insoweit war die Sache an den BFH gelangt, weil schon das FG die Klage im Übrigen abgewiesen hatte und die dagegen vom Steuerpflichtigen eingelegte Revision verfristet war). Die Mitteilung sei gem. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO durch ein zwingendes öffentliches Interesse gerechtfertigt gewesen. Denn die betreffenden Informationen benötige die Gewerbebehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben, so wie diese sie verstehe. Ob strittige Steuerforderungen eine Gewerbeuntersagung rechtfertigten und welche Bedeutung sie überhaupt im Gewerbeuntersagungsverfahren hätten, habe nicht das FA, sondern die Gewerbebehörde zu entscheiden. Die betreffenden Informationen seien, was allein das FA zu prüfen habe, nach der einschlägigen gewerberechtlichen Rechtsprechung für die Gewerbebehörde nicht ohne Bedeutung.

Seinen Rechtsschutzanspruch, nicht zu Unrecht wegen Steuerschulden bezichtigt zu werden, könne und müsse der Steuerpflichtige durch einen AdV-Antrag gegen die Steuerfestsetzungen verfolgen.

 

Hinweis

1. Die Offenbarung unter das Steuergeheimnis fallender Kenntnisse ist zulässig, wenn dafür ein "zwingendes öffentliches Interesse" besteht. Diese Formulierung, deren Strenge noch durch die im zweiten Halbsatz des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO für jenes Interesse genannten Beispiele unterstrichen wird, legt nicht besonders nahe, dass es dem FA gestattet sein soll, den Gewerbebehörden Steuerdaten zu offenbaren, damit diese einem einzelnen Gewerbetreibenden nach § 35 GewO sein Gewerbe untersagen können. Eben dies nimmt indes die Rechtsprechung sowohl des BVerwG wie des BFH seit jeher an. Die Kritik an dieser Rechtsprechung ist laut und wird auch von prominenten Stimmen vorgetragen. Dogmatisch mag ihr nicht jede Berechtigung abgesprochen werden können. Dennoch: sie wird die Rechtsprechung kaum beeindrucken und darf sie nicht beeindrucken. Denn diese verwirklicht – wenn auch in einer vom reinen Normwortlaut her gesehen etwas kühnen Auslegung – den Willen des Gesetzgebers,...

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