Die Vorschläge der EU-Kommission für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem sind sehr umfangreich und wurden bisher auf Ratsebene gründlich geprüft und zwischen den Mitgliedstaaten beraten. Dabei spielen auch die Auswirkungen auf die Administrierbarkeit und Kosten für die betroffenen Unternehmen und die Verwaltungen eine erhebliche Rolle. Auch ist von großer Bedeutung, dass das von der EU-Kommission vorgeschlagene Auseinanderfallen der Steuererklärung durch den leistenden Unternehmer im Rahmen des OSS und des Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger im Bestimmungsmitgliedstaat im Vergleich zum bisherigen Verfahren (Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs und Vorsteuerabzug durch eine Person) Potenzial für Ausfälle beim Umsatzsteueraufkommen ergeben kann. Bisher sind die Mitgliedstaaten mehrheitlich gegen den Vorschlag, dass (grenzüberschreitende) Lieferungen von Gegenständen innerhalb der Union nicht mehr in die Zusammenfassende Meldung aufgenommen werden. Bedenken werden auch hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelung für Lieferungen an nicht zertifizierte Steuerpflichtige vorgetragen, der zufolge der nicht im Mitgliedstaat der Besteuerung ansässige Unternehmer Schuldner der MwSt ist. Hier werden einerseits ein Anstieg der Kosten für Unternehmen und Finanzverwaltung und andererseits das Entstehen neuer Risiken in den Bereichen Steueraufsicht, Insolvenz und Betrug befürchtet. Auch hinsichtlich des Konzepts eines Zertifizierten Steuerpflichtigen, dessen Einführung der RL-Vorschlag vorsieht, liegen die Einschätzungen der EU-Mitgliedstaaten noch weit auseinander. Auch mehr als 5 Jahre nach Ergehen des Richtlinienvorschlags bestehen nach wie vor erhebliche Bedenken unter den Mitgliedstaaten. Es muss, so überhaupt ein Verhandlungsergebnis auf Ratsebene wahrscheinlich erscheint, weiterhin mit mehrjährigen langwierigen Verhandlungen gerechnet werden.

Der Bundesrat[1] erkennt in dem von der Kommission vorgeschlagenen endgültigen Mehrwertsteuersystem einen deutlichen Zuwachs an Betrugspotenzial. Insbesondere sieht er die Gefahr, dass bei Lieferungen an nicht zertifizierte Steuerpflichtige der Vorsteuerabzug im Bestimmungsland unabhängig von der Steuerentrichtung des Lieferers gewährt wird, was von kriminellen Vereinigungen zur Erschleichung von Vorsteuern genutzt werden könnte. Er ist daher sehr skeptisch, ob der von der Kommission prognostizierte Rückgang des grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugs von jährlich 41 Mrd. EUR realisierbar ist. Der Bundesrat hält es außerdem im Hinblick auf die Besteuerungspraxis für problematisch, dass abhängig von der Zertifizierung des Steuerpflichtigen für innergemeinschaftliche Lieferungen künftig dauerhaft zwei Parallelsysteme nebeneinander anzuwenden sind. Nach Auffassung des Bundesrats erhöht sich mit der Systemumstellung der Verwaltungsaufwand. Denn anders als bisher wäre bei Lieferungen an einen nicht-zertifizierten Steuerpflichtigen der liefernde Unternehmer Schuldner der MwSt im ausländischen Bestimmungsmitgliedstaat. Er müsste sich dementsprechend neu und intensiv mit den Besonderheiten des dort geltenden Umsatzsteuerrechts – z. B. der jeweils geltenden Steuersätze – befassen. Bei Abweichungen von den angemeldeten Umsätzen bzw. Vorsteuern müsste sich der liefernde Unternehmer mit dem jeweiligen ausländischen Fiskus auseinandersetzen. Gerade für kleine Unternehmen könnte darin eine Erschwernis liegen. Neben dem immensen Verwaltungsaufwand hinsichtlich eines möglichen Zertifizierungsverfahrens von Steuerpflichtigen würde sich zusätzlicher Aufwand auch aus der Tatsache ergeben, dass der Fiskus es mit einer Vielzahl neuer, im Ausland ansässiger Steuerpflichtiger zu tun hätte. Das Nebeneinander von OSS und allgemeinem Besteuerungsverfahren sowie der Umstand, dass die nationale Steuerverwaltung keinen unmittelbaren Zugriff auf die im Ausland ansässigen Steuerschuldner hat, würden die Steueraufsicht und den Vollzug erheblich erschweren.

In den Beratungen auf EU-Ebene wurden u. a. Überlegungen angestellt, wie neue technologische Entwicklungen zur Erreichung des Ziels, grenzüberschreitender Umsätze in der EU zwischen Unternehmern auf eine neue Grundlage zu stellen und somit die Betrugsanfälligkeit zu reduzieren, genutzt werden können. Das derzeit geltende System zur Erhebung der MwSt im grenzüberschreitenden Handel in der Union wurde zum 1.1.1993 als Übergangslösung vor dem damals geplanten Übergang zur Besteuerung im Ursprungsland eingeführt. Herzstück des sehr umfangreichen Vorschlags der Kommission ist die Erhebung der MwSt über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg mittels Ausweitung der Einzigen Anlaufstelle (One-Stop-Shop, OSS) sowie die die Einbeziehung des Vorsteuerabzugs in den OSS. Das Steueraufkommen soll dabei wie bisher dem Bestimmungsmitgliedstaat (Staat B) der Ware zustehen. Bei Transaktionen über die europäischen Grenzen hinweg muss damit zwar der leistende Unternehmer im Staat seiner Ansässigkeit (Staat A) die Steuer entrichten, sie steht aber dem Fiskus in...

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