Die Kernelemente des Vorschlags sind:

  • Festschreibung des Bestimmungslandprinzips (ohne praktische Auswirkung),
  • Wegfall der Aufspaltung eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorgangs in innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlichen Erwerb,
  • Einführung des (besonders vertrauenswürdigen) "Zertifizierten Steuerpflichtigen"
  • Wegfall der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen (Steuerabführung grds. durch den Lieferer; Ausnahme: Leistungsempfänger ist ein zertifizierter Steuerpflichtiger, dann Reverse-Charge-Verfahren),
  • Bei Steuerabführung durch den Lieferer: Nutzung des One-Stop-Shops bei dessen gleichzeitiger Ausweitung auf den Vorsteuerabzug,
  • Wegfall der Zusammenfassenden Meldung.

Die seit Einführung des Binnenmarktes am 1.1.1993 geltenden Regelungen zur Mehrwertbesteuerung des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten besitzen lediglich Übergangscharakter. Wie im Mehrwertsteuer-Aktionsplan aus dem Jahr 2016 und dessen Follow-up im darauf folgenden Jahr angekündigt, schlägt die EU-Kommission vor, die geltenden Bestimmungen zur Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten durch endgültige Regelungen zu ersetzen, mit denen das europäische Mehrwertsteuersystem moderner, weniger betrugsanfällig und gleichzeitig unternehmensfreundlicher ausgestaltet werden soll. Nach den ursprünglichen Planungen sollte dieser Übergang in zwei Schritten vollzogen werden. In einem ersten Schritt hatte die EU-Kommission am 4.10.2017 einen Richtlinienvorschlag unterbreitet[1], der die Einführung des sog. zertifizierten Steuerpflichtigen (CTP) sowie die Festlegung von Eckpunkten eines endgültigen Systems vorsah. Eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten hatte sich jedoch dafür ausgesprochen, die auf die Schaffung des endgültigen Systems abzielenden Änderungen des bestehenden Rechtsrahmens nicht in Einzelschritten, sondern im Ganzen zu betrachten. Der nunmehr in einem zweiten Schritt vorgelegte Richtlinienvorschlag trägt diesem Petitum Rechnung. Eine Vielzahl technischer Änderungen der MwStSystRL soll folgende Regelungen treffen:

  • Schaffung eines Rechtsinstituts des "zertifizierten Steuerpflichtigen" (CTP);
  • Wegfall der Aufspaltung der grenzüberschreitenden Warenbewegung in eine innergemeinschaftliche Lieferung und einen innergemeinschaftlichen Erwerb;
  • Wegfall der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen von Gegenständen;
  • Verstetigung des Bestimmungslandprinzips als Grundsatz für die Bestimmung des Besteuerungsortes grenzüberschreitender Warenlieferungen innerhalb der Union, d. h. Steuergläubiger ist wie bisher grundsätzlich der Bestimmungsmitgliedstaat;
  • Steuerschuldner soll anders als bisher grundsätzlich der liefernde Unternehmer sein, der die Steuer an den Bestimmungsmitgliedstaat abzuführen hat. Eine Ausnahme gilt für Erwerber, die als CTP anerkannt sind. Diese Unternehmer dürfen das Reverse-Charge-Verfahren anwenden;
  • Abführung der MwSt und Abzug der Vorsteuer durch den leistenden Unternehmer über eine sog. Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop, OSS);
  • Wegfall der Zusammenfassenden Meldung für grenzüberschreitende Warenlieferungen innerhalb der Union.

Die EU-Kommission kündigt im Richtlinienentwurf auch eine (weitere) Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der MwSt an, mit der die Regelungen zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten an die vorgeschlagenen technischen Änderungen des Mehrwertsteuersystems angepasst werden sollen. Dieser Vorschlag soll so rechtzeitig vorgelegt werden, dass er zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des vorliegenden Richtlinienvorschlags umgesetzt werden kann.

Mit der Vorlage des Richtlinienentwurfs hat die EU-Kommission den Startschuss für eine wichtige Etappe auf dem Weg hin zu dem von ihr angestrebten einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum gegeben. Der Vorschlag markiert eine der inhaltlich bedeutsamsten Änderungen seit Einführung des Binnenmarktes zum 1.1.1993, mit denen wesentliche Teile des harmonisierten Mehrwertsteuersystems auf eine neue Grundlage gestellt werden sollen. Dies betrifft weniger die Festschreibung des bereits seit mehr als 25 Jahren geltenden Bestimmungslandprinzips, das lediglich seinen vorläufigen Charakter verlieren soll, als vielmehr grundlegende Änderungen des Systems der Steuererhebung für den innergemeinschaftlichen Warenhandel. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Schaffung eines Rechtsinstituts des "zertifizierten Steuerpflichtigen" und die Ausweitung des One-Stop-Shops von großer Bedeutung. Es könnten generell aber Zweifel daran bestehen, ob die im Grundsatz vorgesehene Abkehr vom bisherigen System hin zu einer Steuererhebung über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg das europäische Mehrwertsteuersystem tatsächlich weniger anfällig für Betrug machen kann.

[1] Vgl. Tz. 2.

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