Rz. 67

Zivilrechtlich stellen die vom handelsrechtlichen Schrifttum zumeist gesondert diskutierten "Fertigungsaufträge" keinen eigenen Vertragstyp dar. Vielmehr handelt es sich im Regelfall um einen Werkvertrag (§§ 631 ff. BGB). Dennoch wollen große Teile des handelsrechtlichen Schrifttums die Erlösrealisierungsregeln, die für diesen Vertragstyp gelten (vgl. Rz. 65), nicht oder nur eingeschränkt anwenden, falls die in einem Geschäftsjahr begonnenen Fertigungsaufträge zum Abschlussstichtag noch nicht abgeschlossen sind, m. a. W. die Erfüllung des Fertigungsauftrags sich zumindest über 2 Geschäftsjahre erstreckt[1]. Hier wird das Problem gesehen, den Wertschöpfungsprozess der Fertigungsaufträge, der von der Angebotserstellung über den Vertragsabschluss und die Fertigung bis hin zur Abnahme über 2 oder mehrere Geschäftsjahre reicht, periodengerecht in Gestalt von Aufwendungen und Erträgen über die Laufzeit des Fertigungsvertrags abzubilden. Konkret stellt sich die Frage, in welcher Periode bzw. welchen Perioden die Ergebnisrealisierung bei diesen (langfristigen) Fertigungsaufträgen vorzunehmen ist. Hierbei bestehen 3 prinzipielle Möglichkeiten:[2]

  • Ergebnisrealisierung bei Lieferung und Abnahme des gesamten Fertigungsauftrags, d. h. ein Gewinn wird erst ausgewiesen, wenn die vertragliche Leistung vollständig erbracht und ein Anspruch auf Gegenleistung entstanden ist (Completed-Contract-Methode);
  • Ergebnisrealisierung bei Lieferung und Abnahme von Teilen des Fertigungsauftrags mit gleichzeitigem Gefahrenübergang (Teilergebnisrealisierung);
  • Ergebnisrealisierung ohne Leistungsabnahme, aber entsprechend dem Leistungsfortschritt des Fertigungsauftrags (Percentage-of-Completion-Methode).
 

Rz. 68

Nach der Completed-Contract-Methode erfolgt der Gewinnausweis eines mehrperiodigen Auftrags erst bei Lieferung und Abnahme des Gesamtauftrags.[3] Die Completed-Contract-Methode entspricht ohne Einschränkungen dem Realisationsprinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB.[4] Bei strenger Anwendung des Realisationsprinzips in Verbindung mit der handelsrechtlichen Bewertungsobergrenze führt diese Methode in den Perioden der Auftragsdurchführung im Regelfall zu Verlusten (sogenannte "Auftragszwischenverluste")[5]. Diese Auftragszwischenverluste resultieren daraus, dass die Fertigungsaufträge maximal zur handels- und steuerrechtlichen Obergrenze der Herstellungskosten angesetzt werden können und regelmäßig die Aktivierung aufwandsgleicher Selbstkosten ausscheidet (Rz. 72 f.).

 

Rz. 69

Zu den Herstellungskosten zählen neben den Material- und Fertigungskosten, die während der Produktionsphase anfallen, auch die Sondereinzelkosten der Fertigung. Zu Letztgenannten gehören insbesondere die direkt zurechenbaren Ausgaben, die sowohl der Auftragserlangung als auch der Fertigungsvorbereitung dienen[6] (zeitliche Vorverlagerung der Absatzphase), sofern das Angebot zu einem Fertigungsauftrag geführt hat. Ebenfalls rechnen zu den Sondereinzelkosten der Fertigung Entwicklungskosten, soweit diese eindeutig dem Fertigungsauftrag zuordenbar sind.

Weiterhin sind angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung, soweit sie auf den Zeitraum der Durchführung des Fertigungsauftrags entfallen, sowie Fremdkapitalzinsen, welche zur Finanzierung während der Durchführung des Fertigungsauftrags anfallen, nach § 255 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 HGB in den Herstellungskosten ansatzfähig.

 

Rz. 70

Aus Sicht der Abschlussanalyse unterliegt das Jahresergebnis im Zeitablauf starken Schwankungen, die nicht durch eine unterschiedliche wirtschaftliche Leistungskraft des Unternehmens verursacht sind. Diese Ergebnisschwankungen sind umso größer, je höher der Anteil der nicht aktivierungsfähigen Vorlauf- und Vertriebskosten ist und je näher das Unternehmen die Bewertung der Fertigungsaufträge an der bilanziellen Herstellungskostenuntergrenze (d. h. ohne Einbeziehung der Kostenbestandteile nach § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB und § 255 Abs. 3 HGB) vornimmt.[7] In der Gesamtbetrachtung einer Periode wirken sich die aus der Einzelbetrachtung von Fertigungsaufträgen resultierenden Ergebnisschwankungen jedoch nur dann verzerrend auf das Periodenergebnis aus, wenn das Volumen und der Reifegrad der Fertigungsaufträge in den einzelnen Perioden abweichen. Bei stark schwankenden Volumina von Fertigungsaufträgen und/oder bei sich im Periodenvergleich in sehr unterschiedlichen Abwicklungsstadien befindlichen Fertigungsaufträgen ist das Jahresergebnis als Indikator für die unternehmerische Ertragslage deutlich beeinträchtigt.[8]

 

Beispiel 9

Ein zum 1.1.01 neu gegründetes Unternehmen beginnt jedes Jahr mit einem langfristigen Fertigungsprojekt, das innerhalb von 3 Jahren abgeschlossen wird. Für jedes Projekt ist ein Abnahmepreis i. H. von 1.000 GE vereinbart. Der Kostenanfall in diesen Projekten sei über die Jahre jeweils gleichmäßig und beträgt 300 GE ...

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